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Ewige Baustelle

■ Während Kultursenator Bernt Schulte über seinem 2,1-Millionen-Mark-Defizit brütet, feiert das Lagerhaus munter eine Woche lang sein 20-jähriges Bestehen und beweist, welche kulturellen Großtaten die „Hirnfabrik“ stemmt

Blick in die Zeitung zett: Ah, das Lagerhaus veranstaltet mal wieder sieben, neun, elf Konzerte respektive Theateraufführungen – ist eben der kleine Bruder des Schlachthofs. Irrtum. Unterm Dach des Lagerhauses sind 20 Initiativen beheimatet, verteilt auf die Bereiche Kultur, Migration, Ökologie. Iranische, kurdische und togoische Selbsthilfegruppen stehen MigrantInnen bei, die ihre Telefonrechnung nicht verstehen – oder das Verhalten der Ausländerbehörde. Die Ökostadtpläne des Ökobüros leiten die Bremer zielsicher zu jedem einzelnen gelben Sack, Biobäcker und Umweltratgeber. Im Keller gibt's Übungsräume, etc.,etc.,etc. Außerdem haben unglaublich viele Festivals und mehr ihren Ursprung im Lagerhaus oder sind innigst damit verbunden: Stadtauto, Tanzherbst, Breminale, Umweltfilmtage, Sportgarten, Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft, Antirassismustage ... Deshalb bezeichnet sich das Lagerhaus zurecht als „brainfactory“ für die Stadt. Rund 100.000 Besucher jährlich belegen das.

Die Geschichte des Kulturzentrums beginnt eigentlich schon 1978. Damals wurde das leerstehende Gemäuer von einem bunten Haufen von Initiativen und Rockbands besetzt, und kaum jemand weiß heute noch so genau, wer mit im Boot saß. Dramatische Nacht- und Nebelaktionen gab es dabei nicht. Nicht mal Schösser wurden geknackt, eher schon mussten welche angebracht werden. Junkies nämlich hatten ihre Matratzenlager über den ganzen riesigen Gebäudekomplex verstreut. Und so wurden einige Räume ausgemistet und gesichert. Es war die Zeit, in der die Anti-AKW-Bewegung, die Sympathie mit Nicaraguas Sandinisten, die drohende Volkszählung und die dadurch erwachte Angst vor einem Überwachsungsstaat eine zweite Welle von Bürgerbewegungen ins Leben rief. Und die wollten mit ihren Vorträgen, Podiumsdiskussionen etc. nicht in die einschlägigen städtischen Veranstaltungsorte mit ihren festen Öffnungszeiten und Hausordnungen, sondern waren auf der Suche nach eigenen Räumen, die Autonomie garantieren sollten. Ein Anliegen, das sich aufs Beste verknüpfte mit dem damals tobenden Kampf um die Erhaltung alter Industriearchitektur, der sogenannten „Instandbesetzung“. Auch eine Fabrik in Hemelingen wurde von Kultur-Inis besetzt – ohne Erfolg, sie wurde abgerissen. Und die Besetzercrew des Schlachthofs konnte nur das Kerngebäude retten, der gigantische Hallenkomplex wurde eliminiert.

Später wurde dann bekannt, dass die Polizei nach der Lagerhaus-Besetzung „Räumungsstudien“ anfertigte; Ergebnis: Ein Tränengaseinsatz sei bei einem Gebäude mit so kleinen Fenstern ungeeignet, da lebensgefährlich. Schließlich entschloss man sich, dem Gebäude und den Inis „eine Chance zu geben“, teils aus Sympathie, teils in der Hoffnung, dass sich ein so breit gestreuter Interessenhaufen ganz unweigerlich zerstreiten wird und aufgibt. Dann kam das Ringen mit den Behörden. Und das zog sich. Beim Liegenschaftsamt trudelten ordnerweise Anträge für die Gebäudenutzung ein, zum Beispiel auch von einem türkischen Boxclub, der den Grauen Wölfen nahestand. Für den Verband von kulturellen, ausländerpolitischen und ökologischen Initiativen, der heute noch das Lagerhaus betreibt, machte sich vor allem der damalige Bau-Staatsrat Eberhard Kulenkampff stark. Zum Konzept einer Kollektivführung via Delegiertenrat meinte er allerdings sinngemäß etwa Folgendes: Ihr könnt delegieren soviel ihr wollt, ich aber brauche einen festen Verhandlungspartner, und wenn ihr den ausgeguckt habt, dann meldet euch wieder. Es meldete sich Bernd Scheda, der durch sein Studium der Architektur und Stadtsoziologie die perfekten Voraussetzung für die Reanimation einer heruntergekommenen Bauruine mitbrachte. „Unser Ziel war eine solide Grundinstandsetzung unter Verwendung von recyclebarem Bau- und Einrichtungsmaterial.“

ABM, BSHG 19, EGZ, SAM: Da ist der Staat erfinderisch

Immerhin schon 1980 gab es das erste Schriftstück, das eine Gebäudenutzung zusicherte – zumindest im Prinzip. Bis die Details dieses Prinzips ausgekämpft waren, verstrichen drei Jahre. „Erst die neunte Vertragsversion wurde unterschrieben, und doch hätten wir noch länger verhandeln sollen, denn unsere Konditionen waren nicht gerade optimal“, meint Scheda heute. Eine Million Mark Umbauhilfe inklusive 350.000 Mark für ABM-Hilfen waren nicht eben viel für einen sechstöckigen Komplex mit 2.500 Quadratmeter Nutzfläche. Zwar schaffte eine zehnjährige Nutzungsgarantie eine gewisse Sicherheit, aber Geld für die inhaltliche Arbeit gab es keines. Deshalb wurde ausschließlich ehrenamtlich oder mit ABM-Kräften gearbeitet – und zwar lange, bis 1994.

1994 wurde von Seiten des Bundes bei den ABM-Stellen geknapst. Zum Glück regierte zu dieser Zeit die Ampel, und es war wohl vor allem die grüne Kultursenatorin Helga Trüpel, die dafür sorgte, dass das Lagerhaus zum ersten Mal in seiner Geschichte mit einer jährlichen Unterstütztung planen konnte. Der Kulturbereich bekam 700.000 Mark, eine Summe, die heute auf 485.000 Mark zusammengestrichen wurde. Der Migrationsbereich wurde vom Senator für Soziales mit 200.000 Mark ausgestattet, heute sind es 125.000 Mark. Und das ÖkoBüro fing 1994 an mit 150.000 und landete mittlerweile unsanft bei 70.000 Mark vom Umweltsenator. Der Bau aber machte Fortschritte. „Investitionsmittel zu bekommen ist in dieser Stadt gar nicht mal so schwierig“, meint Scheda, soll in dem Gemäuer das dazugehörige Leben finanziert werden, ist kein Geld da. Jedenfalls wurden auf der ewigen Baustelle Lagerhaus bislang zehn Baumaßnahmen durchgeführt, viele davon mit ökologischem Hintergrund: Glaseinhausung Innenhof, Heizanlage mit Wärmerückkopplung, Regenwassertoilettenspülung, drei neue Büros ... Seit fünf Jahren kämpft Scheda für eine behindertengerechte Umgestaltung mit Aufzug. Die Kosten: 400.000 Mark. Der Bausenator hat kein Geld, die Stiftung wohnliche Stadt ist dafür nicht zuständig. „Sonst will es offensichtlich auch niemand.“

Das interdisziplinäre Ursprungskonzept von Kultur, Politik und Umwelt hält Scheda noch heute für goldrichtig. Was heute unter dem Modewort Synergie nicht selten krampfhaft herbeigezwungen wird, praktiziert das Lagerhaus in schönster Natürlichkeit seit Jahren: zum Beispiel bei den Migranten- oder Antirassismustagen, die vom Bereich Migration veranstaltet sind, aber mit der Hilfe der Kulturabteilung rechnen können. Deshalb sind zehn Initiativen neu dazugetoßen und erst zwei aus der Gründerzeit abgesprungen. Individuen allerdings saugt das Lagerhaus massenhaft an, um sie wieder auszuspucken, zum Beispiel als qualifizierte Kulturmanager mit hoher Stressresistenz. 60 Leute (wenn man Prakties und Zivis mitzählt sogar 70) wuseln derzeit durchs Lagerhaus. Zwölf feste, also aus dem eigenen Etat finanzierte Stellen, die sich auf 16 Teilzeitkräfte verteilen, sorgen für die unverzichtbare Kontinuität. Dazu kommen 40 bis 50 Leute die aus ABM-, BSHG 19-, LKZ-, EGZ- oder – uff – SAM-Töpfen bezahlt werden – da ist der Staat erfinderisch. So einige der Gründungsmitglieder sind in so genannte etablierte Jobs übergewechselt: Einer ist Geschäftsführer der Kunsthalle, einer leitet einen Bremer Recyclinghof, einige andere reüssieren in der Softwarebranche. Von der Urcrew sind nur noch Bernd Scheda (heute zusammen mit Anselm Züghart Geschäftsführer) und Uli Barde (engagiert im Kinderhaus und im Sportgarten) dabei. bk

Die einzelnen Initiativen inklusive Telefonnummern stehen in der zett (lag am Donnerstag der taz bei). Veranstaltungen siehe Terminkalender.

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