: Die harte deutsche Faust wird weich
Deutschlands Faustballer, jahrelang die weltbesten, verlieren nun auch mal, weil es an Geld mangelt – und an der Oympiaeinladung des IOC
von OLIVER LÜCK
Das Unfassbare ereignete sich vor rund einem Jahr. Die Faustballwelt hielt den Atem an. „Wir lagen die ganze Zeit vorn, doch Brasilien gewann“, erinnert sich Nationalspieler Jens Kolb. Ein famoser Schlussspurt der Südamerikaner im Finale der Weltmeisterschaft: Deutschland gegen Brasilien 2:3 – eine faustdicke Überraschung. Erstmals hatten sich die Deutschen, bis dato Seriensieger aller neun WM-Turniere und World-Games-Titel, nicht das Weltfaustrecht erstritten.
Doch Fäuste deutscher Spieler sind noch immer geballt. Schließlich wurde erst kürzlich der ehemalige Nationalspieler Dirk Schachtsiek zum Faustballer des Jahrhunderts gewählt. Und das deutsche Frauen-Nationalteam ist überdies amtierender Welt- und Europameister. Heute und morgen hat die Mannschaft von Trainerin Sabine Carle gute Aussichten, bei der EM im schweizerischen Schaffhausen abermals zu triumphieren. Dennoch: „Spätestens nach der Niederlage gegen Brasilien wussten auch die Letzten, dass die Zeit der überlegenen Siege vorbei ist“, sagt Udo Schulz, mehrfacher Welt- und Europameister und seit April Trainer des Nationalteams. Auch der vor einer Woche mit einem 3:0-Endspielerfolg über Gastgeber Österreich verteidigte EM-Titel könne, so Schulz, nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Nationen aufgeholt hätten.
In der jüngsten Vergangenheit mussten sich die besten deutschen Klubs des Öfteren geschlagen geben. In der Herren-Weltrangliste führt der viermalige brasilianische Weltpokalsieger Sogipa Porto Alegre vor zwei österreichischen Teams. Erst auf Rang drei und vier folgen der TV Hamm und der amtierende Deutsche Meister TSV Hagen 1860. Schulz sagt: „Die Entwicklung der letzten Jahre ist eher negativ.“ Es fehle nicht nur an „qualifizierten Ausbildern im Nachwuchsbereich“, sondern in erheblichem Maße an den finanziellen Möglichkeiten, beschreibt der 36-Jährige. Die immer noch vorhandenen Talente könnten nicht leistungsbezogen gefördert werden und würden daher oftmals gar nicht entdeckt.
Da die geschmeidigere Netzspiel-Variante Volleyball hier zu Lande für publikumswirksamer erklärt wurde, müssen die Sportler der „besten Faustballliga der Welt“ zudem mit einer nicht vorhandenen TV-Präsenz leben. Trotz der Dynamik: Die Wucht der langen gegnerischen Faustkeile – Aufschläge können über 140 Stundenkilometer erreichen – wird zunächst gen Himmel neutralisiert und schließlich auf gleichfalls eindreschende Art beantwortet. Der Velourlederball darf dabei, im Gegensatz zum Volleyball, einmal aufprallen.
Darüber hinaus ist das Spiel mit der Faust eine der ältesten Sportarten der Welt, die bereits 240 nach Christus bei Gordianus, dem damaligen Kaiser von Rom, Erwähnung fand. Anno 1555 war es Antonio Scaino, der die ersten Regeln für das verwandte italienische „Ballenspiel“ aufschrieb. Und der deutsche Georg Heinrich Weber verfasste Ende des 19. Jahrhunderts schließlich das erste Regelwerk, woraufhin Faustball seinen Weg um die deutschstämmige Welt nahm.
Zu verdienen gibt es als Bundesligaspieler nichts. Alle sind glücklich, wenn sie ein paar Kosten für Auswärtsfahrten und Trikots erstattet bekommen. Und da das kraftbetonte Ballspiel vor allem auf dem Land seine Anhänger findet – in Deutschland sind es rund 60.000 in 1.700 Vereinen – treten, wenn überhaupt, ortsansässige Geschäftsleute als Sponsoren auf.
Die Finanzprobleme werden sich noch ausweiten: „Da unser Sport nicht olympisch ist, hat das Innenministerium die Zuschüsse gestrichen“, erklärt Lothar Baade, Vizepräsident des Internationalen Faustball Verbandes (IFV). Das Kriterium für den olympischen Gedanken: 25 Länder auf vier Kontinenten müssen aktiv sein. „Bis dahin ist es nicht mehr weit“, frohlockt Baade.
Vor zehn Jahren noch fäustelten lediglich zehn Nationen. Deutsche Immigranten hatten das Spiel nach Nord- und Südamerika sowie Südwestafrika importiert. Seither habe sich die Zahl verdoppelt. Zudem streben Länder wie die Slowakei, Uganda, die Dominikanische Republik und Kanada den IFV-Beitritt an.
Der Verband ist guter Dinge, dass der olympische Traum zwar noch nicht 2004 in Athen, aber womöglich vier Jahre später verwirklicht werden könne. Dann wieder mit geballter Faust.
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