: Zu wenig Jude zum Beten?
Am Donnerstag beginnt am „Lehrhaus“ der Lauder Foundation ein Intensivkurs für jüdische Studenten. Doch Jonathan soll draußen bleiben. Er ist dem orthodoxen Rabbi nicht gläubig genug
von PHILIPP GESSLER
Der zunehmende religiöse Fundamentalismus macht auch vor der jüdischen Community nicht Halt.
Das vor knapp einem Jahr mit großem politischem Brimborium eröffnete jüdische Lehrhaus der „Lauder Foundation“ in der Rykestraße im Prenzlauer Berg wird ab Donnerstag einen Intensivkurs für zehn junge jüdische Männer beginnen, die wie in einem Internat zusammen leben und ein Jahr rund um die Uhr ihr religiöses Wissen vertiefen werden. Dreimal am Tag werden sie zusammen beten - nur einer wird nicht aus der Schrift vorlesen dürfen: der Berliner Jonathan M. Und das, obwohl er so etwas wie der junge Vorzeigejude der Bundesrepublik ist.
Der 19-jährige Berliner kommt aus einer traditionell religiösen Familie, die die jüdische Gemeinde der Stadt nach dem Krieg mitbegründet hat und eine der Stützen der Gemeinde darstellt. Er wurde, was einmalig in Deutschland sein dürfte, seit Kindesbeinen nur an jüdischen Institutionen erzogen und ausgebildet: vom Kindergarten bis zur Jüdischen Oberschule in der Großen Hamburger Straße, wo er dem ersten Abijahrgang angehört.
Die Abifeier im Sommer geriet sogar zum politischen Ereignis, die Festrede hielt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Doch obwohl Jonathan sehr gläubig ist, regelmäßig in die orthodoxe Synagoge geht und in „Religionslehre“ in den vergangenen Jahren stets Bestnoten hatte, zweifelt Rabbiner Joshua Spinner aus dem „Lehrhaus“, ob er wirklich ein vollwertiger Jude ist.
Die Begründung Spinners: Jonathans Großmutter mütterlicherseits sei bloß vor einem liberalen Rabbiner zum Judentum übergetreten. Deshalb hat Spinner Bedenken, ob Jonathan nach den halachischen, nach den religiösen Gesetzen wirklich Jude sei.
Die sehen vor, dass Jude nur ist, wer eine jüdische Mutter hat. Rabbiner Spinner reicht selbst das nicht: er will nur orthodoxe Juden um sich scharen. Nach den Informationen des Leiters der Lehrhauses, Joel Levy, dürfe Jonathan zwar an den Studienkursen des Internatsprogramms mitmachen und auch in der Synagoge beten - aber vorlesen aus der Thora dürfe er nach Ansicht Spinners nicht.
„Das ist wirklich absurd“, kommentiert Jonathan gegenüber der taz. Das sei so, als werde man als Christ nicht zum Abendmahl zugelassen. Jonathan wörtlich: „Ich wäre ein Jude zweiter Klasse.“ Rabbiner Spinner urteile damit de facto, dass er ihn nicht als Juden akzeptiere.
Jonathan ist erzürnt. Er verweist darauf, dass seine Großmutter bei einem Rabbiner übergetreten sei, der heute sicherlich als orthodox gewertet würde: ein hoch angesehener Holocaust-Überlebender. Rabbiner Spinner hat Jonathan angeboten, in London eine Art „technische Konversion“ zum orthodoxen Judentum zu machen, wie Levy es nennt. Das wäre zwar „eine schnelle Sache“ - Levy schätzt, dass die Angelegenheit an einem Tag erledigt wäre.
Aber Jonathan weigert sich, einen solchen, quasi erneuten Übertritt überhaupt zu erwägen: „Das habe ich dermaßen von nicht nötig.“ Der orthodoxe Rabbiner Berlins, Jitzhak Ehrenberg, akzeptiere ihn schon jetzt, ohne Zögern. Jedem, dem er seine Geschichte erzähle, könne sie gar nicht verstehen.
Jonathan betont, allein dadurch, dass er eine solche „technische Konversion“ machte, er erst recht als Jude mit zweifelhaftem „Status“ für den Rest sein Lebens abgestempelt wäre. Seine Mutter erklärt, das Judentum der ganzen Familie wäre dann in Frage gestellt.
Die Folgen des Zweifel an Jonathans Rechtgläubigkeit würden allerdings weit über die Familie hinausgehen. Da vor dem Krieg die Mehrheit der Juden in Deutschland liberal geprägt war, wäre de facto der jüdische Status der meisten Juden hierzulande in Frage gestellt. Das trifft um so mehr auf Berlin zu, wo vor der Shoah das liberale Judentum blühte.
Nicht zuletzt deshalb hat sich auch die Jüdische Gemeinde, die im Beirat des Lehrhauses vertreten ist, des Falles von Jonathan angenommen. Noch ist unklar, ob das Gemeindeparlament, die „Repräsentantenversammlung“, am Mittwoch dazu debattiert.
Gemeindechef Andreas Nachama, selbst liberal geprägt, ist die Sache sehr unangenehm. Lange hat er nach einem Kompromiss zwischen Rabbiner Spinner und Jonathans Familie gesucht - doch der geht es mittlerweile auch ums Prinzip: „Da kommt ein junger Spinner und will jüdisches Leben auseinander dividieren“, sagt Jonathans Mutter. Lehrhaus-Chef Levy sagt, Jonathan könne während des Gottesdienstes mitbeten, denn es würden beim Internatskurs sicherlich immer mehr als die neun jungen Männer zusammen kommen, die der Rabbiner als „halachisch“ begreife und im Internat wohnen wollen - zehn Juden sind nötig, um einen Gottesdienst in der Synagoge machen zu können.
Doch auf eine „technische Konversion“ und ähnliche „Spielereien“ will sich Jonathan nicht einlassen. Wenn nicht doch noch „ein Wunder“ passiere „und ich plötzlich ein Jude werde“, sagt er bitter, werde er den Kurs nicht besuchen. Und seine Mutter betont mit Blick auf Rabbiner Spinners Fundamentalismus: Was in den USA dauernd passiere und in Israel schon Alltag sei, drohe jetzt auch hierher zu schwappen. Aber eine Wiederbelebung des Judentums unter diesen Vorzeichen brauche man in Berlin und Deutschland nicht.
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