: Schneller zur Hochschulreife
Fast alle Länder experimentieren mit einer verkürzten Schulzeit bis zum Abitur. Nordrhein-Westfalens Bildungsministerin Behler glaubt den Königsweg gefunden zu haben: Prinzipiell alle Schüler können sich die Elfte sparen. Keine gesonderten Rapidzüge
aus Düsseldorf ISABELLE SIEMES
Clevere Kids könnten ihr Abitur demnächst in der Rekordzeit von zehn Jahren ablegen. Dazu lassen sie sich zunächst in Niedersachsen einschulen. So können sie sich ein Jahr Orientierungsstufe sparen, weil Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) die Klassen 5 und 6 zusammenfassen will. Von dort ziehen die Durchstarter nach Berlin, um die 8. Klasse zu überspringen. Anschließend weiter nach Nordrhein-Westfalen: Von der Klasse 10 geht es dort direkt in Stufe 12. So hätten die mobilen Eleven nach zehn Jahren ihre Reifeprüfung in der Tasche.
In der Praxis ist ein solches Rapid-Abi derzeit nicht möglich. Mindestens zwölf Jahre müssen Pennäler für ihre Reifeprüfung pauken. So haben es die Kultusminister der Länder 1996 entschieden. Sie kamen damit dem Wunsch Thüringens und Sachsens entgegen, die an dem 12-Jahres-Abi aus DDR-Zeiten festhalten wollten – statt 13 Jahren im Westen. Seit der Entscheidung der Kultusminister experimentieren zwölf von sechzehn Bundesländern mit verschiedenen Modellen eines Expressabiturs. Die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD) könnte nun im größten Bundesland die Weichen für eine einheitliche Linie stellen.
Seit einem Jahr dürfen begabte Kids in NRW bereits die Jahrgangstufe 11 überspringen. Etwa fünfzehn Prozent der Gymnasiasten haben das Angebot dieses Schuljahr genutzt. Das Express-Abi hatte Behler bereits im Sommer 1999 durch eine neue Ausbildungsordnung ermöglicht. Die obligatorischen Leistungskurse beginnen seitdem in der 12. Klasse statt im zweiten Halbjahr der Klasse 11. So lässt sich die 11. Klasse problemloser überspringen.
Nun soll die Möglichkeit eines fixeren Abiturs ausgeweitet werden. In jeder Stadt und jedem Kreis werde ein Angebot für das Abitur nach 12 Schuljahren eingerichtet, versprach Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) vergangene Woche in seiner Regierungserklärung im Düsseldorfer Landtag. „Durch intensive Begleitung werden Schüler für den Übersprung der Klasse 11 vorbereitet“, ergänzte Horst Kückmann, Sprecher des NRW-Bildungsministeriums, das Konzept gegenüber der taz. Gesonderte Expressklassen, die es in anderen Bundesländern gibt, will NRW allerdings nicht anbieten. Derzeit konzipiert das Ministerium zusammen mit den Schulen einen Ausbildungsgang, mit dem das Abitur in 12 Jahren ohne separate Eliteklassen erreicht werden kann.
NRW strebt allerdings keine „generelle Verkürzung“ der Schulzeit auf 12 Jahre bis zur Reifeprüfung an. „Für Schüler, die von der Realschule kommen“, erläutert Kückmann, „wird weiterhin die Stufe 11 angeboten.“ Es solle auch in Zukunft die Chance bestehen, die 11. für die Verfestigung des Stoffes und Auslandsaufenthalte zu nutzen. Mit diesem Konzept ist auch die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) in NRW zufrieden, die sich in der Vergangenheit gegen jede Verkürzung der Abi-Zeit gewandt hatte. „Die Durchlässigkeit von der Realschule zum Gymnasium bleibt so gewährleistet“, begründet GEW-Sprecher Michael Schulte den Meinungswechsel.
In anderen Bundesländern gibt es stärkere Vorbehalte gegen die Reifepüfung nach 12 Jahren. Die Berliner Erziehungsgewerkschafter etwa lehnen das Schnell-Abi ab – wegen der „Separation und Selektion“ der SchülerInnen. In der Hauptstadt lernen eilige Kids in gesonderten Expressklassen in der Jahrgangsstufe 6 und 7 zusätzlich zum normalen Stoff das Pensum der achten Klasse. Sie überspringen dann gemeinsam die 8. Dieses Modell war von der CDU initiiert worden. In NRW will Behler nun ein alternatives Modell schaffen, das die Kritik berücksichtigt: Da es keine gesonderten Expressklassen geben wird, müssen sich die Schulkinder nicht bereits in der 5. Klasse auf das Schnell-Abi festlegen.
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