„Eine dumme Schlagfertigkeit angewöhnt“

Being Benjamin von Stuckrad-Barre: Der Popliterat über sein neues Leben als Blackbox und peinliche Auftritte im Fernsehen, über den Medienbetrieb aus der Innenansicht, seine Leiden an der Öffentlichkeit und den Vorwurf der Distanzlosigkeit zur eigenen Person. „Aber es bleibt beim Leben in Schande“

Der beste Reporter ist der, dessen Namen man nicht kennt. Sonst verhalten sich die Leute ganz anders

Interview DIRK KNIPPHALS

taz: Ihr neues Buch ist über weite Strecken erstaunlich still ...

Benjamin von Stuckrad-Barre: Die Idee der Blackbox impliziert ja einen nüchternen Stil. Dass man das Geschehen unkommentiert nachzeichnet.

Sie verstehen sich als Voice-Recorder?

Auch. Aber eine Blackbox zeichnet nicht nur die Stimmen auf, sondern auch die Temperatur, den Druck, die Geschwindigkeit. Sie ist ja zumeist der letzte vernehmbare Zeuge eines Absturzes. Es macht niemanden wieder lebendig, ist aber gut zu wissen, was oder wer den Crash verursacht hat. Wobei Crash jetzt viel zu dramatisch klingt: Diese Geschichten handeln von schleichenden Deformationen.

Sie beschreiben Liebeskummer, Essstörungen, Trennungsschmerz – viele Episoden drehen sich um Verluste ...

Es geht um Illusionen, die der einzige Grund sind weiterzuleben. Man glaubt ja immer, man käme mal vorwärts und nicht immer nur weiter. Aber es bleibt beim Leben in der Schande. Jede Figur erfährt die Unmöglichkeit, außerhalb des Ichs das unbelogene Ganzglück zu finden – und innerhalb des Ichs sowieso auch nicht.

Und was Sie jetzt machen, ist, anders als in den vorigen Büchern, nicht von außen auf die Figuren zu gucken ...

... sondern die Figuren sprechen zu lassen. Being John Malkovich: Man guckt durch des anderen Augen.

Ihnen wird vorgeworfen, Sie würden die Realität affirmieren, keine Distanz einbauen. Was meinen Sie dazu?

Das finde ich noch dümmer als den Spiegel, der nun zum vierhundertstenMal herausgefunden hat, ich würde immer nur über mich schreiben. Und statt über mein Buch schreiben sie dann über meine Person. Egal. Man schreibt doch nicht über sich persönlich, aber ganz bestimmt doch von sich aus, und damit auch über sich, na klar. Aber was bitte ist das für eine uninteressante Frage, also, selbst wenn der Vorwurf zu halten wäre – was folgerte denn daraus?

Der Affirmationsvorwurf ist häufig zu hören.

Also, wo bitte ist das Gegenmodell, wo wird relevant die so genannte Stimme erhoben, und ich meine jetzt nicht wichtigtuerische Rechtschreibreform-Revanchisten? Ist sie nicht unnütz, wenn sie sich als Aufruf schminkt? Muss man slogantauglich eine Werkrichtung posaunen? Das erübrigt ja das Eigentliche, den Text nämlich. „Wie ist Ihre Meinung zu“ beginnen Interviewfragen mit Schriftstellern häufig. Der Schriftsteller wird maßlos überschätzt als allumfassend kompetenter Statementautomat. Einladung zum Essay-Automaten: Spaßgesellschaft, Popliteratur, Expo, Börse, Schröder, Internet – blablabla.

Können Sie sich erklären, warum Sie in der Kritik, und nicht nur da, so heftige Reaktionen hervorrufen? „Tristesse Royale“ dürfte zu den am meisten verrissenen Büchern der deutschen Sprache zählen.

Ja, Wahnsinn. In England wurde es als „most stinky german book“ bezeichnet. Allerdings wurde die Konstellation der fünf Autoren in keinem der vielen Verrisse als Zweckbündnis für ein Projekt begriffen, sondern als Jungmännerbund, der ständig zusammensitzt. Es wurde kaum unterschieden, was wer da redet. Auch dass es sich dabei um ein Theaterstück handelt, wurde ignoriert oder nicht begriffen.

Sie und die anderen wurden als Boy-Group beschrieben.

Bei Boy-Groups wird immer noch unterschieden, wer ist der für die Sportler, wer der für die Mädchen und so. Nicht einmal das wurde bei uns getan. Wir waren nur die mit den Anzügen, die im „Hotel Adlon“ rumsitzen und sehr reich sind und noch nie gearbeitet haben. Lachhaft. Ich halte das Buch, ehrlich gesagt, für einen reichhaltigen Schatz für spätere Archäologen.

Warum?

Wir sind in Rollen geschlüpft, haben diese Figuren völlig unzulässige und deshalb wunderbar wahre Definitionen suchen lassen. Dabei nichts Rettendes finden, natürlich. Es war als Debattenbeitrag gedacht, auf dessen Basis dann weitergeredet werden kann.

Das Dandyeske der Veranstaltung, das waren keine bewussten Provokationen?

Das war absolut ein Theaterstück. Wir treffen uns ja sonst wirklich anderswo als im „Adlon“. Beziehungsweise gar nicht. Wir haben für das Buch eine künstliche Situation hergestellt, eine Versuchsanordnung.

Das weiß man als Kritiker aber nicht ...

Das will man als Kritiker offenbar auch gar nicht wissen. Man möchte lieber, dass das Bild stimmt, dass Urteile überwintern können. Endlich ist von der taz jetzt mal jemand zu einer Lesung von mir gekommen, zumindest für den Berlin-Teil, und was also kriegt er heraus: Da waren Mädchen im Publikum, da war Bühne, auch Musik, irgendwie Show, aber auch Lesen, es war voll und nicht schlecht, aber schon doch auch, andererseits. „Und über Pop und Literatur unterhalten wir uns dann ein anderes Mal“, schließt der Artikel. Ja, aber wann denn bitte! Ich meine, klar, redet doch darüber wieder in einer 24-teiligen Serie, redet ihr! Wir kommen dann zum Knicksen vorbei.

Versuchen Sie, „Tristesse Royale“ als erfolgreiches Experiment zu verarbeiten?

Ich habe mich immer nur als ein Fünftel der Gruppe gesehen und betrachte dieses Buch als ein absolutes Nebenwerk. Ich möchte es gar nicht schmälern, aber genau diesen Stellenwert hat es in meiner Arbeit eingenommen. Wir haben drei Tage geredet, das dann etwas bearbeitet, und das war's. Wir haben dafür jeder 1.000 Mark bekommen, also eher eine Aufwandsentschädigung als ein Honorar. Und wenn man dann immer diesen Subtext der Besprechungen liest: Ihr habt euch die Taschen voll gemacht, ihr doofen Snobs, ihr werdet euch noch wundern, dann wird das Ganze lächerlich.

Sie sind mit Ihren Büchern im Literaturbetrieb, um es gelinde zu formulieren, heiß umstritten. Aber sehr stark werden Sie in der Popszene wahrgenommen. Da funktionieren Sie als Label, als Markenzeichen. Fühlen Sie sich da wohl?

Es sind keine einander ausschließenden Systeme. Auf jeden Fall sind beide zu klein, jeweils. Ja, könnte ich rufen, genau, ich habe bei „Rock am Ring“ gelesen. Aber ich könnte auch einwenden, dass mein erstes Buch schon in „aspekte“ besprochen wurde.

Oder Sie könnten sagen, beim Literaturbetrieb müsse sich einiges ändern, bevor Sie mit ihm warm werden können.

Muss es aber nicht. Ich möchte nach meinen Vorstellungen und zu meinen Konditionen Bücher veröffentlichen. Zum Beispiel wird meine aktuelle Lesereise von amazon.de und von MTV präsentiert. Da sehe ich doch schon wieder den Glossisten, der sich darüber lustig macht. Egal. Es hat sich gezeigt, dass Leute, die Interesse an Lesungen von mir haben, durchaus auch MTV schauen und bei amazon Bücher bestellen. Also spricht alles dafür, diese Menschen mit so wenig Streuverlust wie möglich zu erreichen.

Im dritten Kapitel des neuen Buches, einer Art Medienrevue, tauchen Sie selbst in der Rolle als Popliterat auf.

Nein, nicht ich selbst als, sondern der Popliterat, für den ich gehalten wurde. Alle Figuren treten darin so auf, wie sie öffentlich dargestellt und wahrgenommen werden. Es ist eine Vermengung nicht von Realität und Fiktion, sondern von Medienrealität und Fiktion. Ich sehe diesen Text als Installation. Ich habe ihn nicht begonnen zu schreiben, das haben die Boulevardmedien getan. Gut die Hälfte des Textes besteht aus montierten Zitaten, etwa von Barbara Sichtermann, von Anke Engelke und mir.

Das Kapitel dreht sich um die Frage, ob Sie mit Anke Engelke eine Affäre hatten, die die Boulevardmedien sehr beschäftigt.

Es geht in dem Kapitel nicht um die Frage selbst, sondern um solches Fragen an sich. Das Problem von Öffentlichkeit als Partner. In der Zeitschrift Die Aktuelle steht zum Beispiel, ich plaudere Anke Engelkes Vorgehensweise bei der Beinhaarentfernung aus. Ich lasse sie im besagten Kapitel sagen: „Ich liebe es, wenn das Wachs ein Tick zu heiß ist.“ Das aber ist ein Zitat aus einem Max-Interview. Als es damals erschien, kam die B.Z. mit der Schlagzeile: „Nackte Anke Sexgeständnis“, unter anderem mit diesem Zitat. Die B.Z. und auch Die Aktuelle nun entnehmen dieses Zitat wiederum meinem Buch, zitieren das Zitat-Zitat, nennen den gleich gebliebenen Satz nun aber „ein pikantes Detail“. Darum geht es: Der Satz selbst ist total egal. Egaler als Wachs und Beinenthaarung ist kaum etwas. Aber man kann es einmal Sexgeständnis nennen, einmal auch ein normales Interview und dann wieder pikantes Detail. Man kann Sprache beliebig instrumentalisieren.

Spielen Sie mit den Medien?

Mitspielen klingt zu ebenbürtig. Der Mann und Manager von Susan Stanke behauptet, er spiele mit den Medien. Das würde ich im Leben nicht behaupten. Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass dort mit einem gespielt wird, wenn man sich einmal in einer Form als Figur zur Verfügung gestellt hat. Es gibt natürlich auch Autoren, die keine Interviews geben oder sich nur auf einem Schwarzweißfoto aus dem Jahr 1985 präsentieren. Für mich ist es im Moment zu verlockend, weil ich hin und wieder die Möglichkeit sehe, auf dieser textfernen Ebene Text umso relevanter unterzubringen.

Sie haben Ihr Buch in Sri Lanka geschrieben. Warum?

Das war ein absolutes Theaterstück, eine Versuchsanordnung: Wir sind in Rollen geschlüpft

Ich musste und wollte mich im Winter entscheiden: Möchte ich ein Buch schreiben oder möchte in Berlin bleiben, weiter für die Berliner Seiten der FAZ arbeiten und darüber hinaus alle zwei Monate in der Zeitung lesen, ich hätte eine neue Freundin. Also eher eine rhetorische Frage. Ich selbst war mir zu laut und das Drumherum auch. Ich hatte irgendwann den Sprachautomaten angestellt. Ab dem sechsten Interview oder öffentlichen Auftritt gewöhnt man sich so eine dumme Schlagfertigkeit an. Man weiß auf alles eine Antwort. Falscher geht es kaum.

Bei der FAZ sind Sie nicht lange geblieben.

Ich wusste nicht, wie lange ich für das Buch brauchen würde, wollte mir nicht von vornherein Grenzen auferlegen und habe gekündigt. Das war daraufhin tatsächlich Thema für Zeitungen, muss man sich vorstellen! Alle haben nur darauf gewartet, dass es nicht klappt mit mir Popsau, hihi, und dem Herausgeber Frank Schirrmacher, hoho. Nach der Kündigung spricht dann der Tagesspiegel von „einer kleinen, umso feineren Personalie“ – gerade so, als ob sich Anke Engelke mal wieder die Beine heiß wachst.

War das der Crash?

Ja, das war ein Crash. Das war der Punkt, an dem ich merkte, dass sich das nicht verträgt, einerseits die Autorentätigkeit, und andererseits die öffentliche Figur auch noch sein zu müssen, die da als Annahme in den Medien lanciert wird.

Gerade sind Sie wieder viel in der Öffentlichkeit, in der Presse, auf Lesereise, im Fernsehen.

Weil das Buch in die Öffentlichkeit gehört. Und weil natürlich neben der Werbung für den bestehenden Text solche Auftritte im besten Fall auch die Möglichkeit bedeuten, den Text fortzuschreiben. Im Fersehen ist es am unverhältnismäßigsten. Da stehen zehn peinliche Auftritte einem guten entgegen. Aber der eine Auftritt war dann eben gut, und deshalb gehe ich damit auch das Risiko ein, mir die Arbeit als Journalist zu erschweren. Ich habe das bisher nicht gelöst für mich. Ich weiß nicht, wie ich das machen soll.

Als Journalist muss man unsichtbar bleiben?

Der beste Reporter ist in der Tat der, dessen Name man nicht kennt. Weil sich die Leute sonst – Heisenberg’sche Unschärferelation, paff, bong – ganz anders verhalten.

Wenn Sie Szenen beobachten, verändern Sie sie?

Das war hin und wieder so. Als ich bei der Verleihung des deutschen Filmpreises war, um für die FAZ etwas über Götz Alsmann zu schreiben, konnte ich hinterher in anderen Zeitungen lesen, was ich an jenem Abend trug und was ich getrunken habe. Wäre das aber nicht so, könnte ich zwar getarnter recherchieren, würde bestimmte Dinge aber auch nicht begreifen. Der Blick von außen bedingt limitierten Einblick, die Innenansicht hingegen bringt Schwierigkeiten bei der Abstraktion mit sich.

Ist es so, dass Sie aus dem System der Medien nicht herauskommen?

Was einen selbst betrifft, kann man nie die Gegenwart analysieren. Mit Mühe und Not kann ich jetzt die Situation im vergangenen Herbst nachzeichnen, vielleicht verstehen und daraus eventuell sogar etwas für jetzt, für demnächst lernen, wenn aber dann schon wieder gänzlich andere Defekte das System bedrohen werden. Das ist wieder das Motiv der Blackbox: Eine Episode muss abgeschlossen sein, damit man eine Draufsicht hat. Hinterher ist man immer schlauer – oder eben tot.