: Soko „Aufbau Süd“
Nach dem Tod des kleinen Volkan fordert Wilhelmsburg Unterstützung ■ Von Gernot Knödler
Die Kinder in der Buddestraße lernen jetzt hinter Gittern. Die Wilhelmsburger Schule, in der vor zwei Monaten der 6-jährige Volkan von einem Kampfhund zu Tode gebissen wurde, ist mit einem übermannshohen Zaun umgeben worden. Der oberste Teil davon ist nach außen geknickt, so dass ihn garantiert keiner überklettern kann. Von der quer abgesperrten Buddestraße aus wirkt das fast, als stünde man vor der Berliner Mauer.
„Es habe keine Proteste gegeben wegen des hohen Zaunes“, berichtet Hannah Erben vom Elternrat der Schule. Trotzdem ist der Zaun für Liesel Amelingmeyer ein Symbol: „Wenn sich eine Schule gegen ihr eigenes Quartier abschirmen muss, dann kann etwas nicht stimmen“, sagt die Frau vom Forum Wil-helmsburg. Nach Volkans Tod haben die beiden Frauen zusammen mit weiteren 22 WilhelmsburgerInnen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen den Runden Tisch „Sicherheit und Zukunft für Wilhelmsburg“ gegründet. Der hat gestern verlangt, der Senat müsse sich endlich um die Probleme des 47.000-Einwohner-Stadtteils kümmern. Er forderte die Einrichtung einer Stabsstelle „Für eine gerechte Stadt“ und die Bildung einer Sonderkommission „Aufbau Süd“.
Jörn Frommann, der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete des Stadtteils, zählt die Probleme auf, die er ausmacht: Der AusländerInnen-Anteil sei „mit 34 Prozent doppelt so hoch wie im Hamburger Durchschnitt“. Die Arbeitslosigkeit wachse – entgegen dem gesamtstädtischen Trend –, die Einkommen bewegten sich mit 45.000 gegenüber 70.000 Mark weit unter dem Durchschnitt. In den Straßen sammle sich immer mehr Unrat. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga vernachlässige Wilhelmsburg („Warum werden die Fassaden nicht renoviert?“). Die sozialen Gegensätze verschärften sich. Die Stimmung sei geprägt von Angst und Gleichgültigkeit.
Das Problem, da sind sich die Mitglieder des Runden Tisches über alle Partei- und Gruppengrenzen hinweg einig, bestehe in der Konzentration der Probleme: Noch lebten die verschiedenen ethnischen Gruppen gut aneinander vorbei. Doch wenn weiter NormalverdienerInnen abwanderten, wie es die Leute vom Runden Tisch beobachtet haben wollen, und wenn weiterhin sozial Schwache zuzögen, dann könnte die Situation leicht kippen. „Das Problem ist nicht der Rassismus, sondern das soziale Gefälle“, sagt Amelingmeyer. Und Frommann warnt: „Wir leben auf einem Pulverfass!“
Zwar betreut die Stadtentwicklungsbehörde ein Bürgerbeteiligungsverfahren für ganz Wilhelmsburg und hat zudem vier Sanierungsgebiete in dem Stadtteil ausgewiesen, wobei weitere zwei bereits saniert sind. Doch dem Runden Tisch genügt das nicht. Statt eines vier Millionen Mark teuren Dachs über dem Stübenplatz wollen sie Quartiersmanager, Streetworker und Psychologen, die den traumatisierten SchulkameradInnen Volkans beistehen sollen.
Für MigrantInnen jeden Alters müssten Sprachkurse angeboten werden. Nachbarschaftstreffen zwischen Deutschen und MigrantInnen seien notwendig. Gleichzeitig müsse der Zuzug von sozial Schwachen und Ausländern reguliert werden – ein Vorschlag, von dem Sami Sengül, ebenfalls Mitglied des Runden Tisches, allerdings wenig hält: Das habe Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre nicht funktioniert – wieso sollte es heute klappen? „Man soll lieber was investieren“, findet Sengül, hier wieder ganz auf der Linie des Runden Tisches. Die Menschen müssten gut ausgebildet und mit Jobs versorgt werden: „Wer einen Job hat, kann niemals Blödsinn machen.“
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