Grüne suchen neues Gewand

Der Parteirat der Grünen stellte in Berlin neue Thesen zur grünen Ausrichtung bis zum Jahr 2002 vor. Lob der Hightech, Zurückhaltung in der Genforschung

BERLIN taz ■ Dankbarkeit, sagt Deutschlands jüngster Minister, Dankbarkeit darfst du vom Wähler nicht erwarten

Es ist Montagmorgen, kurz vor elf, als sich der Parteirat der Grünen zur zweiten Sitzung seit seiner Gründung auf dem Parteitag von Münster trifft.

Klaus Müller, mit 29 Jahren grüner Umweltminister in Schleswig-Holstein, gehört zu den fünf grünen Ländervertretern, die in dem hauptstadtlastigen Gremium der Provinz Gehör verschaffen sollen. Zur Halbzeit der rot-grünen Bundesregierung soll sich der Parteirat heute mit Leitlinien für die zweite Hälfte befassen. Und weil Müller nicht an die Dankbarkeit der Wähler glaubt, wünscht er sich von dem Papier mehr als nur eine selbstzufriedene Bilanz auf dem Höhepunkt rot-grüner Popularität. „Mein Anspruch wäre, dass das die Antwort gibt, warum man uns 2002 wieder wählen soll“, sagt er.

Als dreieinhalb Stunden später die Parteivorsitzenden Renate Künast und Fritz Kuhn das frisch verabschiedete Papier vorstellen, wird klar: Wähler, die gerne Neues von den Grünen hören wollen, werden 2002 ihr Kreuzchen wohl woanders machen. 7 Seiten Traditionskost bietet die Partei, zu den Themen Ökologie, Gerechtigkeit, Bürgerrechte und Europa. Dazu die Selbstermahnung, sich für die Verdienste der Bundesregierung mehr Orden an die eigene Brust zu heften: „Noch wird zu vieles von dieser Reformarbeit in der Bevölkerung ausschließlich der SPD zugeschrieben.“ Auffällig ist allenfalls, wie sehr das Zukunftspapier bereits vom politischen Stil der Neulinge Kuhn und Künast geprägt ist: Setzten die Grünen früher auf Abgrenzung von ihren Feindbildern, dominieren inzwischen optimistische Zukunftsentwürfe. Drückte früher ein „Entweder-oder“ politische Radikalität aus, probiert die neue Führung es mit einem weitherzigen „Sowohl-als-auch“. Beispiel Umweltverschmutzung: „Ökologie macht Spaß, ist gesund und schmeckt gut“, heißt es in dem Beschluss, „ökologische Technik ist Hightech im besten Sinne.“ Beispiel Armut: „Wir sind für Sparen und Investieren.“

Am deutlichsten sind die alten grünen Vorbehalte im Bereich Gentechnik zu spüren, wo die Partei mehr Nachdenklichkeit einfordern will: „Die Selbstreflexion der Gesellschaft braucht eine Stimme auch in der Regierung.“

Eine erste Schlacht hat der Parteirat gestern erfolgreich geschlagen: Im Gerangel der unterschiedlichen grünen Gremien um Einfluss auf die Regierungspolitik hat er sich mehr Macht gesichert. Die Vertreter aus Partei- und Fraktionsführung sowie den Ländern beschlossen, sich künftig zu Beginn jeder parlamentarischen Sitzungswoche zu treffen. Damit können sie schneller und häufiger in die Tagespolitik eingreifen als bei einem monatlichen Sitzungsrhythmus. Die gestern getroffene Regelung ist allerdings ein Kompromiss – sie ist bis Januar befristet, dann soll neu entschieden werden.

Vor allem den Ländervertretern im 16-köpfigen Parteirat beschert der Beschluss einen größeren Einfluss auf die Bundespolitik, da sie in anderen Gremien nur indirekt vertreten sind. Mit der Aufwertung des Parteirats verliert der so genannte Koalitionsausschuss an Bedeutung. „Wir haben offen gelassen, ob er ganz abgeschafft wird“, sagte Kuhn. Bisher stimmten dort die grünen MinisterInnen ihren Kurs mit den je zwei Partei- und Fraktionsvorsitzenden ab. Alle Genannten sind aber auch im Parteirat vertreten. Verlierer der Umstellung sind zwei Frauen: Kristin Heyne, parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, und Charima Reinhardt, die stellvertretende Regierungssprecherin. Beide nahmen an den Sitzungen des Koalitionsausschusses teil, gehören aber nicht dem Parteirat an. PATRIK SCHWARZ

Hinweis:Die neuen Grünen im Jahr 2000: „Ökologie macht Spaß, ist gesund und schmeckt gut“