piwik no script img

Verschobene Wut

Die Abhängigkeit der Lkw-Fahrer ist schlimmer als der hohe Spritpreis

BERLIN taz ■ Es war ein verzweifelter Versuch, dem Bußgeld zu entkommen: Als die Polizei die Tachoscheibe des übernächtigten Speditionsfahrers kontrollieren wollte, stopfte sich der Mann die Papierscheibe kurzerhand in den Mund und schluckte sie herunter. Zu groß war seine Furcht, wegen der auf der Scheibe registrierten überlangen Fahrzeiten bestraft zu werden. „So was sind Verzweiflungstaten“, sagt Kornelia Lotte-Gläsel, zuständig für das Speditionsgewerbe bei der ÖTV Niedersachsen, „den Leuten steht das Wasser bis zum Halse.“

Die Speditionsfahrer leiden unter harten Arbeitsbedingungen – hoher Termindruck, Preisdumping und vor allem die Abhängigkeit von ausbeuterischen Auftraggebern. „Der hohe Benzinpreis ist nicht das Entscheidende. Der eigentliche Wettbewerbsdruck kommt durch das Subunternehmertum“ sagt Niko Stumpfögger, Sprecher der ÖTV Berlin.

In den vergangenen Jahren entließen Unternehmen ihre Belegschaften, verkauften ihnen Fahrzeuge und beschäftigten sie weiter als Subunternehmer. Fast die Hälfte der Fahrer seien Selbständige, schätzt Lotte-Gläsel. Damit wurde der Wettbewerbsdruck auf diese Subunternehmer abgewälzt. „Die Subunternehmer kommen mit dem Arsch nicht mehr an die Wand“, erzählt der Hannoveraner Lkw-Fahrer Klaus Requard. Er kennt Kollegen, die von ihrem ehemaligen Chef das Fahrzeug kauften. Zuerst vergab dieser die Aufträge großzügig. Doch kaum war der Lkw bei ihm abbezahlt, wurde er knauserig. „Der Chef hatte ja noch die eigene Flotte, die wurde vorrangig bedient“.

Ein Einzelunternehmer musste beispielsweise in den vergangenen anderthalb Jahren zwar um 1.000 Mark höhere Spritkosten verkraften. Durch die Abhängigkeit vom Auftraggeber konnte es ihm aber passieren, dass der monatliche Umsatz um satte 7.000 Mark zurückging, schildert Requard. Die magere Auftragsvergabe schlug damit mehr zu Buche als die höheren Dieselkosten.

Auch größere Speditionsunternehmer leiden unter verschärftem Wettbewerbsdruck: Vor einigen Jahren wurden die gesetzlichen Frachttarife abgeschafft. Seitdem unterbieten sie sich gegenseitig und würden kaum wagen, die höheren Spritkosten auf die Preise aufzuschlagen. BARBARA DRIBBUSCH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen