piwik no script img

Desinteresse und Uneinsichtigkeit

Skinhead zu Bewährungsstrafe verurteilt. Mit Freunden hatte er im Sommer 1999 zwei Russen angegriffen

Nichts ahnend hatten die Russen Alexander und Wladimir S. am Ufer des Retsees in Hönow gestanden und geangelt. Plötzlich hörten sie Motorengeräusch und Türenklappen. Dann stürmte eine Gruppe von Skinheads heran. Ob sie Punker seien, fragten die Kurzgeschorenen. Dann brüllte einer laut: „Leute, das sind Russenschweine!“ Im selben Augenblick flogen den Anglern Steine, Flaschen und Werkzeuge um die Ohren. Die beiden 40-jährigen Männer kamen nur deshalb mit Gesichtsabschürfungen und Prellungen davon, weil sie die Flucht nach vorn ergriffen, indem sie ihrerseits auf die Skinheads losgingen.

Der Vorfall hatte sich am 5. August 1999 gegen 0.25 Uhr am Stadtrand von Berlin ereignet. Als Letzter von drei angeklagten Skinheads wurde gestern der 19-jährige Enrico H. aus Marzahn von einer Jugendkammer des Landgerichts in einer Berufungsverhandlung zu sechs Monaten Jugendstrafe auf Bewährung und Zahlung von 500 Mark Schmerzensgeld an die Russen verurteilt. Der Richterspruch fiel deutlich höher aus als das im Frühjahr ergangene erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichtes. Damals waren die drei Skinheads nur zur Zahlung von Schmerzensgeld verdonnert worden. Doch auch die härtere Strafe machte auf Enrico H. gestern ganz offensichtlich keinen Eindruck. Während des Prozesses demonstrierte der kurz geschorene, hagere junge Mann unverhohlen Desinteresse und Uneinsichtigkeit. „Weiß ich nicht“ – „dazu sage ich jetzt nichts“, antwortete er auf die Fragen des Richters, während er den Fußboden fixierte.

Ob er zu denjenigen gehöre, die Springerstiefel und Bomberjacke tragen, wenn sie loszögen, wollte der Richter wissen. Ob er zu denjenigen gehöre, die „Schwierigkeiten mit Ausländern“ hätten. „Dazu sage ich nichts“, sagte der Angeklagte, räumte aber dann doch ein, dass er zu diesen Leuten gehöre. „Was stört sie an den Ausländern?“, bohrte der Richter nach. „Darüber möchte ich nicht reden“, antwortete der Angeklagte verstockt. So ging es fast eine ganze Stunde lang.

Eine Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe bezeichnete Enrico H. salomonisch als jungen Mann, zu dem man „nicht schnell Zugang findet“. Enrico sei mit seinen zwei Geschwistern bei seiner Mutter, einer allein erziehenden Frau, aufgewachsen, die es nicht geschafft habe, ihren Kindern Grenzen zu setzen. Die Devise zu Hause sei stets gewesen: „Wir haben uns doch alle so lieb.“ Schule und Tischlerlehre habe er nicht zu Ende gemacht. „Selbst die Hoffnung auf die Bundeswehr hat sich zerschlagen“, stöhnte die Jugendgerichtshelferin. Enrico H. wurde im Frühjahr zum Wehrdienst eingezogen und hat sich schon wiederholt unerlaubt für längere Zeit von der Truppe entfernt. So auch am vergangenen Wochenende. „Ich hoffe, dass Sie sich Gedanken machen, sonst sieht es relativ düster aus“, gab der Richter dem Angeklagten mit auf den Weg. Nach Hause gehen konnte Enrico H. allerdings nicht. An der Saaltür warteten bereits die Feldjäger, um ihn in die Kaserne abzuführen. PLUTONIA PLARRE

Zitat:„Weiß ich nicht. Dazu sage ich nichts. Darüber möchte ich nicht reden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen