: Die Gabi aus Suhl
aus Magdeburg JENS KÖNIG
In dem kleinen Kaff Hinternah bei Suhl wird noch Klartext geredet. Wenn der Ast eines Apfelbaumes in den Garten des Nachbarn ragt, sägt dieser ihn einfach ab. Die Sprache versteht jeder. Wenn der Garten mit dem Apfelbaum in Berlin stünde und der Nachbar ein Genosse der PDS wäre, sähe die Sache ganz anders aus. Sehr verehrte Frau Nachbarin, würde der Nachbar sagen, die Verzweigung deines Apfelbaumes hat eine nicht unerhebliche Schattenbildung provoziert, welche wahrscheinlich nicht ohne nachhaltige Folgen für das Wachstum meines Rasens sein wird. Wir sollten in einen offenen Diskurs eintreten, um einen Konsens herzustellen für die einvernehmliche Lösung des Sachverhalts.
Gabi Zimmer erzählt ihren Genossen in Magdeburg diese kleine Geschichte nicht etwa beiläufig, und sie ist schon gar nicht dazu gedacht, dass die Zuhörer lachen, obwohl sie das natürlich tun. Gabi Zimmer meint es ernst. Die Geschichte mit dem Apfelbaum sagt alles darüber, warum die Frau aus Hinternah in Thüringen Vorsitzende der PDS werden will. Und nicht nur das: In der Geschichte steckt zugleich ihr ganzes Konzept für die Partei. „Wer aus Suhl kommt, versteht die in Berlin nicht“, ruft Gabi Zimmer in den Saal. „Dieses Schicksal teile ich mit den meisten Menschen in diesem Land. Politik ist für viele einfach unverständlich geworden.“ Die etwa 200 Zuschauer in Magdeburg – es ist die erste von zehn Regionalkonferenzen der PDS vor ihrem Bundesparteitag Mitte Oktober in Cottbus – klatschen Beifall. Sie haben wohl verstanden, was ihre neue Chefin ihnen sagen will: Die Partei will nicht, dass sie nur von Leuten aus Berlin regiert wird, von all den selbst ernannten Vor- und Querdenkern dort. Ich bin die Gabi aus Suhl – dieses Bekenntnis geht der Basis zu Herzen und reicht vorerst als Programm, um eine verunsicherte Partei wieder aufzurichten.
Die Sache mit den Regionalkonferenzen hatte sich die PDS auf dem Höhepunkt ihrer Krise im April ausgedacht. Die PDS-Führung war kurz zuvor auf dem Parteitag in Münster bei einer Abstimmung über UN-Kampfeinsätze nicht nur von der Basis abgestraft worden. Sie hatte mit Lothar Bisky und Gregor Gysi, die beide ihren Rücktritt erklärten, auch noch ihre besten Köpfe verloren. In dieser desolaten Situation kam eine Idee der CDU gerade recht. Die Christdemokraten hatten auf Regionalkonferenzen ihre neue Vorsitzende Angela Merkel gekürt.
Angie-Effekt in der PDS
Diese Art der Mitbestimmung war ganz nach dem Geschmack der PDS-Führung: Die Basis diskutiert über die inhaltliche Ausrichtung der Partei und deren neue Spitze – aber in Wahrheit entscheidet sie nichts. In dieses Kalkül passte es trefflich, dass sich der Bundesvorstand ein paar Wochen später auf Gabi Zimmer, PDS-Fraktionschefin im Thüringer Landtag, als neue Parteichefin nach Lothar Bisky einigte. Eine unscheinbare, pragmatische Frau an der Spitze der PDS – das kam gut in Zeiten der Angela-Merkel-Euphorie. Das würde, so die Vorstellung der Genossen in Berlin, den Verlust von Bisky und Gysi in Grenzen halten.
Aus diesem schönen Konzept wurde in den folgenden vier Monaten ein Bedrohungsszenario. Am allerwenigsten lag das noch daran, dass die CDU vorführte, wie schnell sich so ein Angie-Effekt verbrauchen kann, wenn die Parteivorsitzende nichts zu bieten hat außer der Unterstützung der Basis. Das Problem war die PDS selber. Sie verschwand faktisch von der Bildfläche. Bisky und Gysi verbreiteten öffentlich fröhliche Feierabendstimmung. Zimmer tauchte ab und war in der Öffentlichkeit kaum zu sehen, geschweige denn zu hören. Dieses Führungsvakuum wurde so offensichtlich, dass manche Genossen im Parteivorstand schon der Gedanke beschlich, die Thüringerin sei vielleicht doch nicht die richtige Wahl. Andere befürchteten, die designierte Parteichefin würde, noch bevor sie Mitte Oktober auf dem Parteitag gewählt wird, auf den Regionalkonferenzen von der Basis demontiert. Plötzlich geisterte das Gespenst eines zweiten Münster in der Partei herum.
So wurde die erste Regionalkonferenz am Samstag in Magdeburg das, was sie eigentlich nicht werden sollte: die erste große Zitterpartie für Gabi Zimmer. Die 45-Jährige besteht sie relativ souverän, weil sie in ihrer Rede vor allem an die Seele der Partei denkt. Sie spricht viel über eine neue politische Kultur, die sie etablieren wolle. Lebensfreude müsse die PDS verbreiten, sagt Zimmer, die Genossen sollten nicht nur das Leiden der geschundenen Menschen in ihren Gesichtern tragen. „Weniger gespreizt, weniger geschwollen“ wünscht sie sich ihre Partei. „Wenn wir so weiterreden wie bisher“, prophezeit sie, „gibt es die PDS in zehn Jahren nicht mehr. Wir müssen eine klare Sprache sprechen, damit wir wieder verstanden werden.“
„Ich will die PDS führen“
Zimmer macht auch gleich einen Anfang damit. „Ich will die Partei führen“, sagt sie, und damit ja keine Missverständnisse aufkommen, was das heißt, schiebt sie gleich noch zwei klare Sätze hinterher: „Führen heißt entscheiden. Ich als Parteivorsitzende bin weder ein Moderator noch eine Integrationstante.“ Das sitzt. Soll ja keiner glauben, die Gabi aus Suhl lasse sich von denen da in Berlin die Butter vom Brot nehmen!
Solche „Ich“-Sätze sind das Ergebnis ihrer Erfahrungen der letzten Wochen. Zu viele selbst ernannte Berater in der Parteizentrale haben Gabi Zimmer allerlei gute Ratschläge erteilt, was sie nicht alles zu tun und zu lassen habe, und vor allem, wie sie sich geben müsse, um bei der Partei anzukommen. Dabei hat sie festgestellt, dass sie in Berlin nur bestehen kann, wenn sie bleibt, wie sie ist: ruhig, nett, vertrauenswürdig. Das ist ihr Kapital. Wie sie sich damit in der Öffentlichkeit präsentieren muss, lässt sie sich seit kurzem von einem Mediencoach beibringen.
Von Lothar Bisky, dem Noch-Parteichef, hat sie sich in den vergangenen Wochen oft Rat geholt. Er hat ihr eine Geschichte erzählt, die sie in ihrer Art bestärkt.
Ein Whisky für Bisky
Bisky war im Frühsommer in Finnland, um mit der Chefin des „Linksverbands“ zu reden, einer Partei, die dort mit in der Regierung sitzt. Es war ein Montag, und Bisky traf die Frau in Helsinki nicht an. Er dachte, ihr sei ein Termin dazwischengekommen, aber einer ihrer Berater klärte Bisky auf. Die Vorsitzende hätte auf Wunsch der Partei montags immer frei. Sie sei nicht nur eine kluge, sondern auch eine sehr attraktive Frau, die in der finnischen Öffentlichkeit ungewöhnlich gut ankomme. „Ihre Ausstrahlung ist das Kapital unserer Partei“, erklärte der Berater. Also müsse die Partei alles dafür tun, dass ihre Vorsitzende so sein kann, wie sie ist. Und dafür brauche sie ausreichend Zeit für sich selbst und ihre Familie.
Bisky hat vermutlich diese Geschichte im Kopf, als er in Magdeburg für seine Nachfolgerin wirbt. „Die PDS braucht zuverlässige und gute Menschen“, sagt er und hat dabei Tränen in den Augen. In dieser etwas rührseligen Stimmung fällt es den Genossen offenbar nicht weiter auf, dass Zimmer wenig Konkretes darüber sagt, wie sie sich die PDS in Zukunft vorstellt und mit welcher Strategie sie 2002 in den Wahlkampf ziehen will. Sie spricht davon, dass sich die Sozialisten der Gesellschaft öffnen müssten, sie fordert sie auf, sich nicht nur mit der eigenen Partei, sondern mit dem „Projekt Deutschland“ zu beschäftigen – was das jedoch für die Politik der PDS bedeutet, sagte sie nicht.
Aber darum ging es der Parteispitze an diesem Tag auch nicht so sehr. Sie war erleichtert, dass Gabi Zimmer und ihr wichtigster Verbündeter, Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, das Gespenst eines zweiten Münster verjagt hatten. Lothar Bisky verließ die Veranstaltung schon nach zwei Stunden, nach den Reden von Zimmer und Bartsch. „Jetzt kann ich beruhigt zurücktreten“, sagte er und genehmigte sich im nächstbesten Restaurant erst mal einen Whisky.
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