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Scharfe Wendung nach links

Was kann die politische Linke der totalen Monopolisierung der Wirtschaftswelt entgegensetzen? Der Ordoliberalismus versammelt die schärfsten Fusionskritiker hinter sich und bietet neue Perspektiven

von SIBYLLE TÖNNIES

Sind die Begriffe „rechts und links“ noch zu einer politischen Abgrenzung imstande? Darüber wurde in Deutschland nach 1989 viel debattiert. Neulich traf ich einen Franzosen, der sich darüber wunderte, dass diese Begriffe bei uns in Frage gestellt werden. „Natürlich bin ich links!“, sagte er. „Was denn sonst!“ Er hat einen alten Bauernhof in den Pyrenäen und produziert dort – am Rande des Ruins, aber vergnügt – biologisches Rindfleisch. Er ist in einer Initiative aktiv, die sich für die kleinförmige Landwirtschaft einsetzt und darum kämpft, dass sie nicht von der Konkurrenz der großen, europäisch subventionierten Agrarindustrie untergepflügt wird. Und natürlich war er dabei, als in einer Nacht des vorigen Jahres die neue McDonald’s-Filiale abgeräumt wurde.

Linke Monopole

Nicht gerade ein typischer Linker, würde man sagen. Er ist selbständiger Unternehmer, und auch seine Abneigung gegen Monopole und Mammutbetriebe macht ihn nicht etwa zu einem Linken. Denn die Linken hatten gegen Monopole nicht mehr einzuwenden als gegen kapitalistische Unternehmen überhaupt. Es gab im Gegenteil unter den Linken sogar eine bedeutende, „Stamokap“ genannte Fraktion, die alle Hoffnungen auf die Monopolisierung richtete. Man meinte, der Übergang in den Sozialismus sei umso leichter, wenn sich das Kapital schon im Kapitalismus konzentriert habe. Es fiele dann dem Volkseigentum und damit der Zentralwirtschaft wie eine reife Frucht in den Schoß.

Die Frage, was „rechts und links“ noch bedeutet, hängt also ganz davon ab, ob man die Begriffe eng und ökonomisch definiert – dann ist der französische Biobauer sicherlich kein Linker –oder ob man sie weit und sozial fasst und danach fragt, wie sich die Sympathien zwischen Groß und Klein und Oben und Unten verteilen – dann ist er einer. Insofern handelt es sich um eine unfruchtbare terminologische Streitfrage.

Dahinter steht aber ein wichtiges inhaltliches Problem. Wer derselben Auffassung ist wie dieser Biobauer, wer die ausufernde Macht der Monopole und Kartelle bedrohlich und eine Ordnung wünschenswert findet, in der solche Konzentrationen unmöglich sind, der würde sich gern ideologisch irgendwo einordnen und entbehrt ein geistiges Zuhause. Entkleidet man die linke Denkwelt nämlich ihrer ökonomischen Basisannahmen, löst man sie ab von der Frage Privat- oder Volkseigentum, so verliert sie ihre traditionellen Züge ebenso wie ihren theoretischen Charakter und wird ein schwammiges Gebilde. Mit „links“ bezeichnet man dann zwar, wo das Herz schlägt, aber kein ökonomisches Konzept.

Der Antimonopolismus hingegen ist keineswegs diffus. Er hat eine sowohl praktisch als auch theoretisch bedeutende Tradition. Sich über diese praktische und theoretische Tradition zu informieren ist das Gebot der Stunde für alle diejenigen, die zwar ihre Neigung zu sozialistischer Zentralverwaltung abgelegt haben, aber doch in einer Gesellschaft leben möchten, die nicht von wirtschaftlichen Machtblöcken dominiert wird.

Praktisch spielt der Antimonopolismus – als Anti-Trust-Bewegung – in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte schon lange eine bedeutende Rolle. Seine Lebendigkeit zeigt sich jetzt wieder in Sachen Microsoft. Er ist eine seit dem „Sherman Anti-Trust Act“ von 1890 mal vordringende, mal zurückgedrängte Kraft. 1945 hat er die radikale Entflechtung der Aluminiumindustrie bewirkt. Der Ausgang des Verfahrens gegen Microsoft wird ein Epoche machendes Datum sein.

Theoretisch – und darum soll es hier gehen – aber hat der Antimonopolismus seine ausgefeilteste Form in Deutschland gefunden. Er wurde in den Dreißigerjahren der Monopolfreudigkeit Adolf Hitlers entgegengerichtet und von der „Freiburger Schule“ erarbeitet: von Wirtschaftswissenschaftlern, die sich teils in äußerer, teils in innerer Emigration befanden – Walter Eucken und Franz Böhm in Deutschland, Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke im Exil. 1932 hatten sie ihr Konzept, das sie „Ordo“ nannten, gerade noch im Verein für Sozialpolitik vorstellen können, bevor sie durch die Machtübernahme zerstreut wurden. Damit war ihr Konzept allerdings nicht gestorben. In heimlichen Verbindungen wurde es weiterentwickelt und hatte seine große Stunde nach 1945, als die neu entstehende Bundesrepublik ein Leitbild für ihre Wirtschaftsverfassung brauchte. Walter Eucken und seine Freunde lieferten in der Zeit unter Ludwig Erhard das Konzept der sozialen Marktwirtschaft. Da dieses Konzept noch immer das offiziöse Leitbild der Gesellschaft bietet, scheint es so, als ob die Bundesrepublik wirtschaftspolitisch unter dem Stern des Ordoliberalismus stünde (siehe auch taz vom 12. 9.).

In Deutschland entkernt

Aber dieses Leitbild ist nur offiziös. Es ist eine Maske. Das ordoliberale Programm ist in Deutschland nämlich nie durchgeführt worden. Man hat es dadurch entkernt, dass man den Antimonopolismus herausgelassen hat. Übernommen und gepflegt wurden am Ordoliberalismus nur das klare Bekenntnis zum freien Tauschhandel und die deutliche Absage an jede Art von Zentralwirtschaft. Die wichtige Rolle, die der Staat im Ordoliberalismus spielt – er hält den Markt rigoros von Konkurrenz behindernden Verklumpungen frei, er schwebt unabhängig über den Wirtschaftsfraktionen und gewährleistet durch das Verbot von Fusionen und Kartellen das freie Spiel von Angebot und Nachfrage –, diese Rolle, die den Namen „Ordo“ rechtfertigt, hat man der Bundesrepublik nicht zugewiesen. Man hat zugelassen, dass sie sich in die Abhängigkeit von wirtschaftlichen Machtkonzentrationen begeben hat.

Walter Eucken wird zwar gern in Festreden und Publikationen zitiert. Die Passagen aber, in denen er beklagt, dass die Staatsautorität in demselben Maße abgenommen hat wie die Staatstätigkeit an Umfang zugenommen hat, werden unterschlagen. Ungewürdigt bleibt zum Beispiel dieser Satz, in dessen Wahrheit die Parteispendenaffäre uns gerade einen kleinen Einblick gibt: „Man stellt es sich meist nicht anschaulich genug vor, welch wesentlichen, oft entscheidenden, aber unkontrollierten Einfluss Verbände der Industrie, Landwirtschaft und des Handels, größere Monopole und Teilmonopole, Konzerne und Gewerkschaften auf die Willensbildung der Staaten ausüben.“ Die in Deutschland herrschende Ideologie, der Pluralismus, für den Politik das zufällige Ergebnis des Geschiebes der Pressure-Groups ist, findet diesen Sachverhalt in Ordnung. Für den Ordoliberalismus aber ist er der Stein des Anstoßes. Ohne dieses Element ist der Ordoliberalismus als offiziöses Gesellschaftsbild nur eine Maske.

Versetzen wir uns wieder in die Lage der antimonopolistisch orientierten, theoriebedürftigen Linken, so ist ihnen die Annäherung an den Ordoliberalismus zum einen durch dessen Staatsbezogenheit erschwert. Sie sollten bedenken, dass sich die Staatstätigkeit im ordoliberalen Konzept im Übrigen im Hintergrund hält: Wirtschaft und Gesellschaft sollen freier werden – sie sollen erst wirklich frei werden. Der Staat sorgt nur für die Rahmenbedingungen dieser Freiheit.

Ja zum Warentausch

Ungewohnt ist den Linken auch die ordoliberale Marktbezogenheit, das uneingeschränkte Bekenntnis zum Warentausch. Franz Böhm sagte: „Der Mensch tauscht, weil er als einziges Lebewesen zu dieser Transaktion befähigt ist, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie genial er ist.“ Die alten Linken verabscheuten den Tausch (die von Adorno beeinflussten verstanden ihn als das Reich des Todes) und setzten auf zentrale, gerechte Verteilung. Daran lässt sich bei einer Annäherung an die Ordoliberalen nicht festhalten. Genau wie Adam Smith sind sie davon überzeugt, dass in dem egoistisch motivierten Tauschverkehr eine unsichtbare Hand wirksam ist, die über die individuelle Absicht hinaus für allgemeine Gerechtigkeit sorgt; anders als Adam Smith aber sind sie durch die Geschichte darüber belehrt, dass diese Hand nur funktioniert, wenn der Staat durch machtvolle Eingriffe für gleiche Konkurrenzbedingungen sorgt.

Da, wo das Herz links schlägt, geht es richtigerweise und losgelöst von aller Theorie um soziale Gerechtigkeit. Sieht man genau hin, so stellt man fest, dass Alexander Rüstow das Erbrecht mit aller Schärfe bekämpft hat. Er forderte den Staat auf, die großen Erbmassen zu konfiszieren und umzuverteilen. Auch Eucken ging es letzten Endes um eine Einebnung der sozialen Unterschiede. Er sagte: „Soziale Gerechtigkeit sollte man durch Schaffung einer funktionsfähigen Gesamtordnung und insbesondere dadurch herzustellen suchen, dass man die Einkommensbildung den strengen Regeln des Wettbewerbs, des Risikos und der Haftung unterwirft.“ Die Regeln des Wettbewerbs vertragen sich nicht mit Machtanhäufung; die Regeln des Risikos verbieten Subventionen, die Regeln der Haftung aber gebieten, dass alle durch die Wirtschaft verursachten (insbesondere ökologischen) Schäden von denen ersetzt werden, die sie verursachen. In einer solchen Ordnung stünde der französische Biobauer wesentlich besser und McDonald’s mitsamt der Agrarindustrie wesentlich schlechter da.

Der Ordoliberalismus ist nur scheinbar die Theorie des Status quo. Im Gegenteil: Die Kräfte, die sich jetzt unter der Fahne „Deconcentration international“ (www.Deconcentration.org) sammeln, suchen den Aufruhr. Und wenn sich jetzt Grüne – insbesondere in Österreich – die Frage stellen, ob sie ihr Programm auf eine ordoliberale Grundlage stellen wollen, so wird dieser Weg als scharfe Wendung nach links empfunden.

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