: Aufbau Ost kein Steuersparmodell
Der Europäische Gerichtshof erklärt steuerliche Vergünstigungen für Investitionen in den ostdeutschen Mittelstand für illegal. Unklar ist noch, ob die Anleger nun mit Nachzahlungsforderungen durch die Finanzämter rechnen müssen
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Der sächsische Regierungssprecher Michael Sagurna kannte die Information gestern Nachmittag nur aus dem Nachrichtenticker: Der Europäische Gerichtshof hat eine weitere Bresche in den Aufbau Ost geschlagen. Dessen Entscheidung, die Steuervergünstigungen für Investitionen in Ostdeutschland zu kassieren, kam für Sagurna jedoch nicht unerwartet: „Die ostdeutschen Länder haben sich darauf eingerichtet, dass die EU nicht gedenkt, die Folgen der deutschen Teilung zu berücksichtigen. Wir rechnen auch bei der Berufungsverhandlung zu VW nicht mit einer Überraschung.“
Die aktuelle Entscheidung betrifft Anleger, die in den Jahren 1996 bis 1998 von Steuererleichterungen profitierten, die den Aufbau insbesondere des wirtschaftlichen Mittelstandes in Ostdeutschland beschleunigen sollten. Wer in Ostdeutschland investierte, musste weniger Steuern zahlen – in bestimmten Fällen gar keine. In ihrem Jahressteuergesetz 1996 hatte die Bundesregierung Erlöse aus dem Verkauf von Betriebsanteilen steuerfrei gestellt, wenn sie in neu gegründete Kapitalgesellschaften mit weniger als 250 Beschäftigten in Ostdeutschland investiert wurden.
Deutschland stützte sich dabei auf die so genannte „Teilungsfolgenklausel“, die Bestandteil der EU-Verträge ist. Sie stand schon in den Römischen Verträgen und erlaubte Sonderförderungen für die Zonenrandgebiete, die durch die Teilung Deutschlands wirtschaftlich besonders benachteiligt waren. In den Vorverhandlungen zum Maastrichter Vertrag drängten die anderen Länder darauf, diese Klausel zu streichen. Schließlich sei die Mauer nun gefallen und damit seien auch die Teilungsfolgen aus der Welt. Die Deutschen argumentierten dagegen damit, dass das Ungleichgewicht zwischen Ost und West nur durch besondere Subventionen beseitigt werden könne. Die europäischen Partner akzeptierten damals, dass die fünf neuen Länder insgesamt als Gebiet betrachtet werden müssten, in dem Teilungsfolgen spürbar sind. Deshalb heißt es im Vertrag, dass staatliche Beihilfen zulässig seien, „soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind“.
Seit 1996 zeichnet sich ab, dass die EU-Kommission diese Interpretation nicht mehr gelten lassen will. Sie verengt die Klausel auf unmittelbare Teilungsfolgen wie zerstörte Brücken oder unterbrochene Schienen- und Straßenwege. Diese Sicht hat der Europäische Gerichtshof im Dezember 1999 gestützt. Er entschied, dass VW auf staatliche Beihilfen von 241 Millionen Mark verzichten muss, die für zwei neue VW-Werke in Zwickau und Chemnitz zugesagt worden waren. Bereits ausgezahlte 90 Millionen musste der Konzern an den Staat zurückgeben.
Gestern hat der Europäische Gerichtshof ein weiteres Mal entschieden, dass derartige Steuersubventionen den Regeln des Binnenmarkts widersprechen. Diesmal sind keine Großkonzerne betroffen, sondern Anleger, die den Tipp ihres Finanzberaters aufgriffen und Gewinne steuerfrei unterbrachten. Ihre Investitionspläne könnten nun durch Steuernachzahlungen erheblich durcheinander gebracht werden. Nach Ansicht von Peter Runge, dem Vorsitzenden des Steuerrechtsausschusses des Verbandes deutscher Steuerberater, haben die düpierten Investoren zwar im Vertrauen auf die Gesetzgebung gehandelt, können jedoch nicht auf Schadenersatz durch die Bundesregierung hoffen. „Die Steuerbelastung ist aufgrund solcher Unsicherheiten wie dem EuGH-Urteil nun einmal schwer zu kalkulieren“, so Runge gegenüber der taz.
Wenn das Urteil tatsächlich einen Kurswechsel von Brüssel und Luxemburg bedeutet, dann könnten zukünftig noch weitere Steuererklärungen auf den Prüfstand kommen. Denn der Aufbau Ost wurde in den 90er-Jahren mit unterschiedlichen Subventionsinstrumenten gefördert. Unternehmen wie Privatleute nutzten die Gelegenheit, im Osten zu investieren statt Steuern zu zahlen. Das Berliner Finanzministerium wollte die Urteilsbegründung abwarten, bevor es sich dazu äußert, ob Kleinanleger nun Steuern nachzahlen müssen. Was das Luxemburger Urteil angeht, ist klar, wer zahlt: Die Kosten des Verfahrens trägt die Bundesregierung.
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