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Der Zentralrat ist aus der Not heraus geboren

Verband war anfangs Hilfsorganisation für jüdische Überlebende. Er unterstützte sie auch bei der Auswanderung aus dem „Land der Täter“

BERLIN taz ■ Die „deutschen Staatsbürger jüdischen Unglaubens“, wie sie Sigmund Freud einmal ironisch genannt hat, schafften es weder während des Kaiserreichs noch in der Weimarer Republik, eine politische Gesamtvertretung auf die Beine zu stellen – obwohl dies damals oft gefordert worden war. Zu unterschiedlich waren die politischen und religiösen Ansichten dieser Bevölkerungsgruppe, die damals noch mehrere hunderttausend Mitglieder zählte.

Erst 1933, angesichts der beginnenden Repression unter dem Naziregime, konnte sich eine „Reichsvertretung der deutschen Juden“ institutionalisieren. Es war eine Notgeburt – so wie die Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg am 19. Juli 1950.

Unmittelbar nach dem Krieg war die Mehrheit der deutschen Juden der Shoah zum Opfer gefallen. Dennoch lebten nach den Wirren des Krieges noch rund 250.000 in Deutschland. Diese, meist staatenlose displaced persons aus Osteuropa, hatten ihre Heimat, ihre Arbeit und jegliche soziale Sicherheit verloren. Der Zentralrat sah seine Aufgabe lange Zeit darin, den Glaubensbrüdern und -schwestern zu helfen: sozial, medizinisch, bei der Altenbetreuung und bei der Auswanderung.

Viele wollten fort aus dem Land der Täter: Zweihunderttausend Juden wanderten vor allem in die USA, nach Israel, Kanada und Australien aus. Viele Gemeinden in Deutschland verstanden sich als Gemeinden auf Zeit. Dass die noch in Deutschland gebliebenen Juden „auf gepackten Koffern“ saßen, wurde zum geflügelten Wort.

Heinz Galinski, der erste Vorsitzende des Zentralrats, führte die jüdische Gemeinde mit starker Hand – typisch sein Satz von 1950: „In allen grundsätzlichen Fragen darf es (daher) nur eine Ansicht geben, und das ist die gemeinsame Ansicht der Juden in Deutschland.“ Sein Nachfolger wurde Herbert Lewin, ein unauffälligerer Chefarzt aus Offenbach – „Spuren seines Wirkens im Zentralrat sind heute kaum mehr aufzufinden“, schreibt die zentralratsnahe Allgemeine Jüdische Wochenzeitung.

Sein Nachfolger Werner Nachmann (Amtszeit 1969 bis 1988) führte den Zentralrat in seine größte Krise: Kurz nach seinem Tod wurde bekannt, dass er 29,8 Millionen Mark aus den Zinserträgen staatlicher Wiedergutmachungsgelder unterschlagen hatte.

Galinski übernahm danach wieder das Ruder. Er starb 1992 im Amt, wie bisher alle Zentralratsvorsitzenden, später Präsidenten genannt. Sein Nachfolger war Ignatz Bubis. Er gewann im Amt eine gesellschaftliche Bedeutung wie bisher kein anderer Zentralratspräsident. Unter Bubis, so schien es, wurden die Koffer langsam ausgepackt.

Bubis starb im vergangenen Sommer. Verbittert über den zunehmenden Rechtsradikalismus der Neunzigerjahre und die mangelnde öffentliche Unterstützung bei seiner Debatte mit dem Schriftsteller Martin Walser über die heutige Bedeutung der Shoah, ließ er sich in Israel begraben.

Paul Spiegel, sein Nachfolger, kündigte an, mehr nach innen wirken zu wollen – die Integration der jüdischen Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und die Hilfe für die vielen überschuldeten Jüdischen Gemeinden sah er bei seinem Amtsantritt als seine Hauptaufgaben. Zudem will er das bundesweite Prinzip der „Einheitsgemeinde“ erhalten, die alle Juden einer Stadt, welcher religiösen Ausrichtung auch immer, unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland vereinen will. Unter den Aufgaben, die sich Paul Spiegel gestellt hat, dürfte dies die schwierigste sein. PHILIPP GESSLER

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