: Stets an der Seite des Kapitals
Trotz Reformbemühungen konnten Währungsfonds und Weltbank ihren Geburtsfehlern – Institutionen der Gläubiger zu sein – nicht beikommen
von KATHARINA KOUFEN und MAIKE RADEMAKER
Die Wurzeln des Streits um den Währungsfonds liegen im Zweiten Weltkrieg. Der Krieg war noch nicht vorbei, da entwarf ein britischer Ökonom namens John Maynard Keynes einen Plan, wie das Weltwirtschaftssystem künftig aussehen soll: Eine Art Bank, die Regierungen bei Bedarf Geld leihen sollte, müsse geschaffen werden. Und, Keynes hatte das zerbombte und hoch verschuldete Großbritannien vor Augen, die neue Bank sollte eine der Schuldner, nicht der Gläubiger sein.
Pech für Keynes: In den USA tüftelte zur gleichen Zeit ein anderer Ökonom, Harry Dexter White, an einem ähnlichen Plan. White setzte sich gegen Keynes durch. Der Amerikaner forderte, die neue Bank müsse in erster Linie den Gläubigern dienen. Und Hauptgläubiger waren damals die vom Krieg wenig angeschlagenen USA.
Vor allem aber Pech für die Entwicklungsländer. Sie leiden besonders unter den Spätfolgen des White-Plans und dem Mitte der Vierzigerjahre daraus entstandenen IWF. Denn heute sind sie die großen Schuldner und müssen sich von den Gläubigern aus Washington diktieren lassen, zu welchen Bedingungen sie beim IWF Geld leihen dürfen.
Zunächst sollte der Fonds nur dafür sorgen, dass alle seine Mitglieder – anfangs waren es 29, heute sind es 182 – jederzeit zahlungsfähig waren. Das war nach dem Krieg ein größeres Problem als heute, weil die großen Länder ihre Währungen an den Dollar gekoppelt hatten. Wich der Wechselkurs vom festgelegten Kurs ab, mussten die Zentralbanken schnell große Summen zur Verfügung haben, um auf dem Devisenmarkt zu intervenieren.
Anfang der 70er-Jahre brach das Währungssystem zusammen. Der IWF verlor seine Aufgabe und suchte nach einem neuen Betätigungsfeld. Zur gleichen Zeit etwa gewann die neoliberale Chicago-Schule in den USA und in einzelnen Schwellenländern wie Chile an Einfluss.
Da traf es sich gut, dass die Entwicklungsökonomen in Lateinamerika, Asien und Afrika auch nicht so recht von der Stelle kamen. Die alte Theorie, ein Land müsse sich so lange mit hohen Zöllen vor ausländischer Konkurrenz schützen, bis es seine eigene Industrie aufgebaut habe, traf in der Wirklichkeit nur selten zu. Der Staat als Entwicklungsmotor schien zu versagen. Hinzu kam, als Folge des neuen Systems flexibler Wechselkurse, die Schuldenkrise: 1982 meldeten mehrere Entwicklungsländer ihren Bankrott.
Nun war der IWF an der Reihe. Und er krempelte um, was umzukrempeln möglich war: freier Markt statt starker Staat, freier Handel statt hoher Zölle, Exportorientierung statt Produktion für den eigenen Bedarf.
Das hatte schwer wiegende Folgen für die Bevölkerung: Weil die Produktion für den Export um jeden Preis billiger sein muss als die der Nachbarländer, werden Umweltschäden und schlechte Arbeitsbedigungen billigend in Kauf genommen. Ebenfalls zur Ankurbelung der Exporte wird die Landeswährung abgewertet und die Inflation angekurbelt. Damit werden lebensnotwendige Importe aber gleichzeitig für die Ärmeren unbezahlbar. Die Inflation geht einher mit hohen Zinsen, die Investitionen verteuert, die Wirtschaft bremst und zu Arbeitslosigkeit führt. Zur Bekämpfung der Inflation verlangt der IWF, dass die Lohnerhöhungen unter der Inflationsrate bleiben. Das heißt: Die Reallöhne sinken. Die oft gleichzeitige Abschaffung der Subventionen für Grundnahrungsmittel führt dazu, dass die Preise für Reis oder Mais sich über Nacht vervielfachen und so weiter. Das trifft vor allem die Armen.
Die „Brotaufstände“ der Achtzigerjahre in Venezuela, Tunesien oder im Sudan waren eine Reaktion auf die IWF-Politik. Die Demonstrationen und Proteste, die mittlerweile jede der im Frühjahr und Herbst stattfindenden Tagungen begleiten, eine andere. „Wenn der IWF kommt, ist es schlimm, kommt er nicht, ist es noch schlimmer“, fasste Willy Brandt Mitte der 80er-Jahre das IWF-Dilemma zusammen.
Seit Jahren wird daher über eine Reform des Währungsfonds debattiert. Umstritten sind dabei vor allem die Bedingungen, die der Fonds an die Entwicklungsländer stellt. Konservative US-Abgeordnete fordern, der IWF solle aufhören, Kredite an die ärmsten Staaten zu vergeben. Linke Kritiker wollen den Fonds ganz abschaffen. Dazwischen liegen die Entwicklungsländer selbst, die vor allem mehr Stimmrechte im IWF fordern. Bislang haben die USA, die EU-Länder und Japan den Mammutanteil aller Stimmen.
Im Gegensatz zum Währungsfonds soll die Schwesterorganisation Weltbank nicht die Staatshaushalte sanieren, sondern konkrete Entwicklungsprojekte fördern. Für die Art ihrer Förderung wird die Weltbank schon seit langem kritisiert. Mit ihren Projekten bekämpfe sie nicht die Armut, sondern produziere sie, monieren NGOs seit vielen Jahren. Als plakatives Beispiel gilt die Zwangsumsiedlung von mehr als zwei Millionen Menschen weltweit allein durch den Bau von Staudämmen und anderen Großprojekten.
Der Wall-Street-Banker und Cellist James Wolfensohn übernahm 1995 die kriselnde Institution und schwor Besserung. Die Bank gab sich selbst Richtlinien, etablierte eine unabhängige Untersuchungskommission für umstrittene Projekte und erweiterte den Zugang zu Informationen. Der Protest gegen die Bank hat trotz all der Bemühungen Wolfensohns, seinem Management Benehmen beizubringen, nicht ab-, sondern zugenommen, wie die wütenden Proteste auf der Frühjahrstagung und die nun drohenden Auseinandersetzungen in Prag zeigen.
„Gerade engagierte Leute bekommen den Frust in der Bank“, sagt Bruce Rich vom Washingtoner Environmental Defense Fund. „Die geben dann die internen kritischen Papiere heraus.“ Von den NGOs werden solche Berichte genüsslich auseinander genommen. „Nur die Hälfte aller Projekte“, schrieb zum Beispiel die Weltbank-eigene Evaluierungsabteilung 1998, werde ihre positiven Effekte auch in Zukunft haben – ein niederschmetterndes Ergebnis für eine Entwicklungsbank. Die Bank, so Alex Wilks von der britischen NGO Bretton Woods Project, bleibe starrsinnig dabei, dass nur durch Wachstum die Armut bekämpft werden kann, nach dem Prinzip „Eine Flut hebt alle Boote“.
Die NGOs sind bei weitem nicht die einzigen Kritiker. Die deutsche Bundesbank und der umstrittene, konservative Meltzer-Report aus den USA fordern, dass die Bank ihre Arbeit konzentrieren soll: Auf die ärmsten Länder. Und denen soll sie Zuschüsse und nicht Kredite gewähren.
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