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Frankreichs Politiker im Zwielicht

Die „Aufzeichnungen eines Toten“ über illegale Spendensammlungen der Gaullisten besudeln Frankreichs Polit-Establishment: Der ehemalige sozialistische Finanzminister Dominique Strauss-Kahn hatte das inkriminierende Videoband bereits 1998

aus Paris DOROTHEA HAHN

Die Sprengwirkung des Videos aus dem Jenseits, in dem ein inzwischen verstorbener RPR-Finanzier über millionenschwere illegale Parteispenden berichtet, hat jetzt auch die regierende Sozialistische Partei erreicht. Dominique Strauss-Kahn, der als „Superminister“ der rot-rosa-grünen Regierung für Finanzen verantwortlich war, hat das Video bereits im Jahr 1998 erhalten.

Damals lebte der RPR-Finanzier noch und Strauss-Kahn war noch in Amt und Würden. „DSK“, ein gelernter Anwalt, hat das brisante Video, in dem sowohl die RPR als auch die PS und die KPF als Empfänger von Bestechungsgeldern beschuldigt werden, weder veröffentlicht noch der Justiz übergeben. Der enge Jospin-Vertraute Strauss-Kahn gab die Vorwürfe, die am Sonntag in dem Pariser Nachrichtenmagazin Express erhoben wurden, umgehend zu. Er habe das Video von seinem ehemaligen parlamentarischen Mitarbeiter Belot erhalten, jedoch seinen Inhalt nie betrachtet, behauptete Strauss-Kahn gestern in einem Interview. Im vergangenen Jahr hatte er wegen Ermittlungen in einer anderen Affäre zurücktreten müssen. Danach will er das Video „verloren“ haben.

Ganz anders erinnert sich Belot, der „DSK“ als seinem ehemaligen Chef eine Kopie des Videos bereits 1998 zugeleitet hatte. Der Anwalt brachte vor vier Jahren einen Dokumentarfilmer mit dem RPR-Finanzier Méry zusammen, damit Méry, der sich wegen seines Wissens über die illegalen Parteispenden „bedroht“ fühlte, eine Beichte auf Video ablegen könne. Im Jahr 1998 überreichte Anwalt Belot dem damaligen Minister DSK eine Kopie des Videos.

Strauss-Kahn, der jetzt behauptet, es nie angeschaut zu haben, bat seinen Exmitarbeiter wenige Monate später um das Original des Bandes. Belot erfüllte den Wunsch des Ministers 1999. Als Gegenleistung will er eine Steuerreduzierung in Höhe von mehreren Millionen Franc für seinen Mandanten, den Modemacher Karl Lagerfeld, bekommen haben.

Letzteres bestreitet der Minister. Es habe keinerlei Transaktionen gegeben, sagte er gestern. Zu der Behauptung, er habe den Anwalt Belot in der vergangenen Woche gebeten, der Justiz nichts über jenes Video zu sagen, wollte sich Strauss-Kahn nicht äußern.

Bislang ist unklar, ob DSK die Kassette vernichtet hat oder ob er sie zurückhielt, um sie irgendwann politisch einzusetzen. Beispielsweise gegen seine Rivalen um das Amt des Oberbürgermeisters von Paris, für das er kandidieren wollte.

Die Video-Affäre hat nun beinahe das komplette politische Etablishment Frankreichs erfasst. Der neogaullistische Staatspräsident Jacques Chirac forderte gestern den sozialistischen Premierminister Lionel Jospin auf, Untersuchungen in seiner Regierung einzuleiten. Jospin sagte zu, dass das Finanzministerium nach Beweismitteln suchen werde. Auch PS-Chef Hollande versicherte, seine Partei werde alles tun, um die Sache aufzuklären. Die RPR, die noch Ende vergangener Woche wie die Hauptbeschuldigte dastand, jubilierte deutlich.

Die eigentliche politische Nachricht dieses Wochenanfangs ging in der Video-Affäre beinahe unter: Die „citoyens“ hatten am Sonntag ganz leise „oui“ gesagt und zugleich fast allen Politikern ihres Landes eine schallende Ohrfeige erteilt. In einem Referendum entschieden sie, dass die Amtszeit des nächsten französischen Präsidenten statt bislang sieben künftig nur noch fünf Jahre dauern wird. Das Resultat ist gültig, obwohl 70 Prozent der Abstimmungsberechtigten den Urnen fern geblieben waren. Auch diese Rekordenthaltung in der Nachkriegsgeschichte sorgt jetzt in Paris für Katerstimmung.

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