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Berufsverbot für Großmaul

Der 45-jährige Rudi Kalupa steht seit 20 Jahren auf den Berliner Wochenmärkten und verkauft Blumen. Jetzt hat der stimmgewaltige Mann auf dem Wittenbergplatz Marktverbot bekommen

von PLUTONIA PLARRE

In den Mittagsstunden läuft der Blumenhändler Rudi Kalupa zur Höchstform auf: „Zwanzig Rosen für’n Zehnerle, meine Damen und Herren“, tönt sein Bass über den Marktplatz. „Zwei Bund Gladiolen für’n Zehnerle, Zehnerle.“ Kalupas Stimme ist so durchdringend, dass hundert Meter weiter jede Silbe zu verstehen ist.

Samstags und mittwochs auf dem Winterfeldtplatz, dienstags und freitags auf dem Wittenbergplatz. Die Hälfte seines Lebens hat der 45-Jährige, kurz „Zehnerle“ genannt, auf Berlins Wochenmärkten zugebracht. Sein kräftiges Organ und seine schlagfertigen Anworten sind zum Begriff geworden. Doch Kalupas Existenz ist bedroht: Das Bezirksamt Schöneberg will den Blumenhändler auf dem Wittenbergplatz-Markt mundtot machen.

Vergangene Woche hat Kalupas Chef ein Schreiben des Wirtschaftsamtes Schöneberg erreicht, in dem dessen Angestellten, Rudi Kalupa, ab Oktober ein einjähriges Marktverbot auf dem Wittenbergplatz erteilt wird. Die Begründung: Anwohner des Wittenbergplatzes würden sich seit Ende 1997 über das Verhalten von Kalupa beschweren. „Ihr vorgenannter Mitarbeiter preist stundenlang die Waren so lautstark und penetrant (Zehnerle, Zehnlerle, alles für’n Zehnerle) an, dass die Anwohner dadurch unzumutbar belästigt werden“, heißt es. Mehrfache Ermahnungen des „stimmgewaltigen Mitarbeiters“ hätten keine Besserung gebracht. Das Umweltamt habe deshalb am 18. August eine „Geräuschpegel-Messung vorgenommen. Die „Nahfeldmessung im Abstand von 15 Metern“ habe ergeben, dass Kalupas Stimme um 10 Dezibel lauter sei als das übrige Marktgeschehen. Kalupas Anwalt hat Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt. Für Kalupa und seinen Kollegen ist klar: „Das ist ein Berufsverbot.“

Die Nachricht von dem Marktverbot auf dem dem Wittenbergplatz war auf dem Winterfeldtmarkt gestern das Thema. Aufgebrachte Kunden und Händler reißen sich geradezu darum, ihre Empörung in den Unterschiftenlisten zu Papier zu bringen, die an Kalupas Stand auslagen. „Ich höre jedes Wort von dem. Der ist schon laut“, sagt eine Renterin, die in dem direkt am Platz stehenden Seniorenwohnhaus lebt. Aber das rechtfertigte doch nicht so eine Maßnahme. „Ich finde es unmöglich, wirklich unmöglich“, ereifert sich eine 44-jährige Lehrerin. „Auf einem Markt muss doch was los sein.“ Der Wurst- und Fleischhändler Max Mielke, der direkt neben Kalupa seinen Stand hat, schimpft: „So was habe ich in meiner 30-jährigen Marktzeit noch nicht erlebt.“

Die Woge der Sympathie verschlägt Kalupa fast die Stimme. Immer wieder wird er ins Gespräch verstrickt, ihm freundlich auf die Schulter geklopft: „Halten Sie bloß durch.“ Für „Zehnerle, Zehnerle“-Rufe bleibt kaum Zeit. Der Sohn des berühmten Berliner Radrennfahrers Hans Kalupa erzählt, er sei Markhändler aus Passion. „Ein Laden wäre für mich der Tod.“ Eine laute Stimme habe er schon immer. „Ich versuche ja schon, sie runterzukurbeln“, sagt er und lacht verschmitzt.

Die Entscheidung liegt nun beim Verwaltungsgericht. Aber das kann dauern. So lange kann Kalupa auf dem Wittenbergplatz weiter arbeiten. „Wenn er sich weiter uneinsichtig zeigt, werden wir ein längeres Marktverbot aussprechen“, kündigte der stellvertretende Bezirksbürgermeister Gerhard Lawrentz (CDU) gegenüber der taz an.Die Solidaritäswelle für Kalupa ändere nichts daran, da sich einige Anwohner des Wittenbergplatzes – „eher gutbürgerliche Leute“ – nun einmal gestört fühlten, sagte Lawrentz. „Das bunte Szenegemisch am Winterfeldtplatz hat bekanntermaßen eine höhere Toleranzschwelle.“

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