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Selbstkastration

■ Europas Linguisten wollen die sprachliche Vielfalt erhalten / Kongress diskutiert über den „Imperialismus“ des Englischen

„Help!“ – Wer rettet Europa vor der Anglisierung? In der Uni sorgen sich 450 Linguisten aus verschiedenen europäischen Ländern noch bis morgen gemeinsam um die sprachliche Vielfalt. Vom „Imperialismus“ des Englischen ist beim Kongress der „Gesellschaft für angewandte Linguistik“ (GAL) die Rede – immerhin in Gänsefüßchen, weil, wie Eberhard Klein von der Universität Erfurt einräumt, Versatzstücke aus dem Englischen doch eher bereitwillig ins Deutsche aufgenomen werden.

Trotzdem will ausgerechnet der Anglist Klein den Siegeszug des Englischen in Europa nicht widerspruchslos hinnehmen. Dagegen, dass alle Englisch lernen hat er natürlich nichts, aber an der Grenze zur eigenen – deutschen – Sprache sollte lieber Schluss sein. Da vertritt er einen strikt „sprachökologischen Standpunkt“. Leute, die etwas „downloaden“ sind ihm ein Gräuel – kann man doch auch herunterladen. Aber ob wir dann auch „Rechner“ statt Computer sagen müssen – die Sprachschützer sind sich nicht so sicher. Wo ist dann die Grenze?

Für den GAL-Präsidenten Gerd Antos aus Halle ganz einfach: „Da, wo es affig klingt.“ Ein eher subjektives Kriterium, das der Herr Professor offensichtlich anders anlegt als die Kids von heute, kann er sich doch über den Flop des Jahres regelrecht ereifern: „Was reitet uns denn, von einer Expo zu sprechen? Eine ‚Weltausstellung« hätte doch eine ganz andere Wertigkeit gehabt.“ Dann wären die Massen fasziniert nach Hannover geströmt – zumindest aus dem Inland. Internationale BesucherInnen hätten derweil vergeblich nach den Wegweisern gesucht und würden seit drei Monaten durch Niedersachsen irren ... Egal, für Antos ist die Expo 2000 eine „Selbstkastration“ und eine Market...Entschuldigung, Vermarktungs-Dummheit dazu.

Antos hat eine Erklärung für den Erfolg des Englischen: Es ist eigentlich gar keine Sprache, sondern eine „Hybridsprache“ aus Angelsächsisch, Französisch und Latein – es findet sich quasi jeder Westeuropäer darin wieder. Selbstverständlich sei die dominante Rolle des Englischen dennoch nicht: Schließlich hat Deutsch mit 100 Millionen in der EU die meisten SprecherInnen. Statt Sprachquoten für Radiomusik wie in Frankreich oder gesetzliche Regelungen wie in Polen empfiehlt der Ober-Linguist trotzdem Gelassenheit: Schließlich hat die deutsche Sprache auch die jahrhundertelange Dominanz des Französischen überstanden.

Helfen soll beim Erhalt der sprachlichen Vielfalt ein Konzept, nach dem alle EuropäerInnen neben Englisch die jeweils angrenzende Fremdsprache lernen sollen. Auch vom Aussterben bedrohte Kleinsprachen wollen die Linguisten gefördert wissen: So hat sich Bremen eigentlich in einer Charta dazu verpflichtet, zur Rettung des Plattdeutschen beizutragen, das erst nach dem Ersten Weltkrieg vom Hochdeutsch aus der Stadt gedrängt wurde. Aber Platt war auch kein Kind von Traurigkeit: An der Küste hat es einst das Friesische fast ausgelöscht. Jan Kahlcke

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