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Der Rest ist Schweigen

Dem Publikum aus dem Herzen gesprochen: Peter Turrinis Endlich Schluss, langatmig und öde an den Kammerspielen  ■ Von Dagmar Penzlin

Man kennt dieses betretene Schweigen, wenn auf einer Party ein Gast einen geschmacklosen Witz erzählt oder mit intimen Bekenntnissen peinlich berührt. Und genau mit dieser Situation spielt Regisseurin Almut Fischer in ihrer Inszenierung von Peter Turrinis Ein-Personen-Stück Endlich Schluss: Keine imaginäre vierte Wand trennt die ZuschauerInnen im Logensaal der Hamburger Kammerspiele von jenem Lebensmüden, der gleich zu Beginn ankündigt, er werde sich erschießen. Der Selbstmörder ist einer von uns. Auch bei der Premiere gab es kein Entkommen.

Alle Gegenstände sind in schwarze Plastikfolie gepackt, auch die kreuz und quer rumstehenden Stühle und Sessel. Das Publikum hat es sich auf den glatten Sitzmöbeln gerade leidlich bequem gemacht, als ein Mann auftritt und beginnt, scheinbar die Zuschauer zu zählen. Ein dynamischer Fiftysomething im saloppen schwarzen Anzug, knallig lilafarbenem Hemd und sportlichen Schuhen. Der Blick durch die randlose Brille ist ruhig, beiläufig erwähnt er seine Selbstmordabsicht. Die Pistole ragt schon aus der Jackentasche, der Mann will aber erst bis 1000 zählen, bevor er sich erschießt.

Zwischen den Zahlenkolonnen lässt er sein Leben Revue passieren: Er war ein gefragter Journalist, einer, dessen Meinung interessierte. Mit der distanzierten Eloquenz des routinierten Leitartikel-Schreibers berichtet er von seinem Weg, an dessen Ende der seelische Zusammenbruch stand. Die Flut von Gedanken und Geschichten verebbt jedoch nach und nach. Es geht ans Selbstmorden. Der Mann löscht das Licht, ein Schuss zerreißt die Stille, doch kein Körper fällt zu Boden – Turrini lässt seinen lebensmüden Hauptdarsteller im grellen Rampenlicht sterben, in Fischers Inszenierung bleibt es unklar, ob der Mann wirklich Schluss macht.

Diese Unentschiedenheit ist symptomatisch für die gesamte Neuproduktion an den Kammerspielen. So sehr die Idee der Regisseurin überzeugt, das Publikum quasi mitspielen zu lassen, andere Regie-Einfälle wollen nicht zünden, wie etwa das Bemühen des langsamen Satzes von Mozarts Klarinettenkonzert, das eine elegische Stimmung herbeizaubern soll. So langweilt diese unausgegoren wirkende Inszenierung über weite Strecken durch monotonen Leerlauf. Eigentlich kaum zu glauben, strotzt doch Turrinis Text gerade vor Stimmungswechseln und Brüchen, die ein gefundenes Fressen für jeden Schauspieler sind. Auch brillante Seitenhiebe auf Politik und Kirche hat sich der österreichische Skandalautor nicht verkniffen. Der Medienzirkus bekommt sowieso sein Fett ab.

Und was macht Gerad Kunath in der Rolle des abgedrehten Starjournalisten? Scheinbar allein gelassen von der Regisseurin, rezitiert er sich stimmlich meist recht einfarbig durch die Wortmassen des Dramatikers, und das nicht, ohne ab und zu im Text stecken zu bleiben. Hilflos flüchtet er sich immer wieder in Schauspieler-Unarten wie das Doppeln des Textes: Erzählt Kunath als Journalist, er sei irgendwann einmal auf einen Kasten gestiegen, so begibt er sich sogleich auch auf einen solchen. Schildert Turrinis Lebensmüder seine Platzangst, und dass er in Kinos immer den äußersten Sitz mit Blick zur Tür gewählt habe, schaut Kunath natürlich auch zum Ausgang.

Erst in der zweiten Hälfte findet Kunath zu einer größeren Bandbreite. Der Plauderton ist einer sanften Resignation gewichen. Er wühlt noch einmal in den Requisiten seine Lebens und betrachtet teilnahmslos den Hochzeitsschleier in seinen Händen, die Kinderschuhe und den kleinen Plastiktannenbaum. Noch ein Glas Champagner und ein Blick in den Spiegel. Endlich Schluss. Der Rest ist betretenes Schweigen.

Weitere Vorstellungen: 30.9., 1.,4.,13.,14.,15. Oktober, 20.30 Uhr, Kammerspiele

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