: Gegen korrupte Halbgötter in Weiß
■ Wenn die Pharma-Industrie ein neues Medikament auf den Markt bringen will, kann es schon passieren, dass die doktoralen Meinungsführer „richtig geschmiert“ werden
Professor Peter Schönhöfer (65), bundesweit bekannter kritischer Pharmakologe, wird heute in den Ruhestand verabschiedet. Wir sprachen mit ihm über seine Arbeit.
taz: Die Menschen leben heute in einem Gesundheitswahn ...
Professor Peter Schönhöfer: Wir haben eine Industrie, die sich mit unbelegten Heilversprechen die Gesundheitsbedürfnisse nicht-kranker Menschen zu Nutze macht.
Aber das Krank-Sein, Alt-Werden und Sterben-Müssen ist in unserer Kultur etwas Unnatürliches.
Gesundheit wird heute als Fitness verstanden. Da herrscht die Vorstellung, dass der Körper so etwas ist wie eine Maschine, die man ölen muss. Waren zur angeblichen Gesundheitsförderung werden bedenkenlos konsumiert.
Und es gibt Verschleißteile, die werden ersetzt.
Das ist aufwändiger, wenn sie ein Teil ersetzen müssen. Da ist meist eine Krankheit dahinter. Aber vieles, was den Wellness-Bereich betrifft, ist eingeredetes Besser-Gehen. Dafür werden die Leute abgezockt.
Aber der Herzschrittmacher zögert das natürliche Altern hinaus.
Das ist etwas anderes. Wer einen Herzschrittmacher bekommt, hat eine nachvollziehbare Erkrankung. Da sehe ich kein Technik-Problem. Das beginnt nicht beim Herzschrittmacher. Wenn sie eine Herzerkrankung haben, dann weiß man: Wenn man die Gerinnungsfähigkeit des Blutes vermindert, dann vermindert sich das Herzinfarkt-Risiko. Hier hilft Aspirin bestens. Es gibt neuere Produkte, Plavix oder Iscover, die kosten das Siebzigfache und bieten nicht mehr. Für die neuen Mittel werden korrupte Ärzte gekauft, die das schön finden. Da werden die Meinungsbildner richtig geschmiert durch Vortragshonorare, Luxusreisen oder was. Und so verteuert sich der Medizin-Prozess nicht nur durch Innovation.
Maßgeblich?
Transparency International, eine Einrichtung der Weltbank, hat in diesem Jahr das deutsche Gesundheitssystem als Beispiel für Einfallstore für Korruption untersucht. Der Bericht steht im Internet unter „www.ti-deutschland.de“.
Es gibt doch eine staatliche Aufsicht und ein Bundesgesundheitsamt, bei dem man sich schwer vorstellen kann, dass die so einfach korrumpierbar sind.
Ich habe da gearbeitet. Ich war verantwortlich für die Sicherheit von allen Arzneimitteln, die auf dem Markt waren. Fünf Tage nach dem Ende der sozialliberalen Koalition 1982 wurde ich versetzt, auf ein Abstellgleis geschoben.
Der Beginn der Ära Kohl. Aber das Bundesgesundheitsamt ist doch keine Regierungsinstitution?
Und ich war kein politischer Beamter. Ich habe den Schutz der Verbraucher über die Interessen des Herstellers gestellt, das war für diese Regierung nicht akzeptabel. Obwohl es so im Gesetz steht.
Wurde der Präsident des Bundesgesundheitsamtes zum Machtwechsel 1982 ausgewechselt?
Nein, das ist kein politischer Beamter. Karl Überla war in der letzten Phase der sozialliberalen Koalition ernannt worden. Er hatte nebenher Institute, die für die Industrie arbeiteten. Wir nannten ihn „Dimido“, weil er nur dienstags, mittwochs und donnerstags im Amt war. Etwas Korrupteres gibt es nicht.
Gab es vorher einen Konflikt?
Wir hatten 1981 versucht, Novalgin in Deutschland zu verbieten, wie es in Schweden, England, den USA und anderen Ländern verboten war, weil es zu vielen Todesfällen kam. An der Migräne stirbt man nicht, es darf kein Arzneimittel gegen Migräne gegeben, an dem Menschen sterben. So einfach war der Grundsatz. Damit waren wir für Höchst, den größten Anbieter von Novalgin weltweit, ein Dorn im Auge.
Wer hat sie nach Bremen geholt?
Der damalige Staatsrat Hans-Helmut Euler und einige Intensivmediziner. In Bremen gab es klinische Pharmakologie nicht. Ich wollte die Basis für die Einschätzung von Risiken bei Arzneimitteln verbessern und habe 1985 das Erfassungssystem für arzneimittelbedingte Erkrankungen an den vier Zentralkrankenhäusern gegründet. Das ist heute noch ein Unikat in Deutschland. Im Februar hat die Gesundheitsministerkonferenz der Bundesländer beschlossen, dass sie zehn Zentren nach diesem Modell etablieren will. Mit 16:0 wurde das beschlossen. Das ist für mich eine ganz schöne Entwicklung.
Jetzt treten Sie in den Ruhestand und machen nichts mehr?
Es ist klar, dass man den Stab weitergeben muss. Ich will mich mehr als ich es bisher konnte bei der Hersteller-unabhängigen Arzneimittel-Information engagieren, konkret dem Berliner Arznei-Telegramm. Die brisantesten Informationen bekommen Sie auch ohne ein Abonnement zu bezahlen unter „www.arznei-telegramm.de“.
Fragen: K.W.
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