DER FRIEDENSPROZESS IM NAHEN OSTEN IST NICHT UNUMKEHRBAR: Tiefe Kluft
Sechs Tage blutiger Unruhen haben über sechzig Palästinenser das Leben gekostet, darunter sogar Kleinkinder. Während die israelische Armeeführung inzwischen Panzer und Soldaten zurückbeordert, finden in Ramallah, Gaza, Nablus und anderen Städten zeitgleich Beerdigungen statt. Und in Paris beraten Ministerpräsident Barak und Palästinenserpräsident Arafat unter Ägide der USA über eine Beilegung der Gewalttätigkeiten.
Die Palästinenser sind wütend. Daran wird eine Übereinkunft zwischen der palästinensischen Autonomiebehörde und der israelischen Führung erst einmal nichts ändern können.Wer jetzt glaubt, nur weil miteinander gesprochen wird, sei der Friedensprozess wieder in vollem Gange, der irrt. Überhaupt: Wer meint, der Friedensprozess sei unumkehrbar, ist auf dem Holzweg. Die Ausschreitungen der vergangenen Tage waren keine Neuauflage dessen, was wir seit der Intifada kennen. Wer gesehen hat, wie palästinensische Polizisten und Sicherheitskräfte mit „Allahu Akbar“-Rufen bejubelt worden sind, bevor sie das Feuer auf die israelischen Soldaten eröffneten, bekommt eine Ahnung vom Ausmaß der Kluft zwischen dem, was auf dem Verhandlungswege erreichbar ist, und dem, was die Demonstranten wirklich wollen.
Nicht nur Ariel Scharon hat seine Kompromisslosigkeit demonstriert. Die israelische Armeeführung trägt Verantwortung für das Ausmaß der Unruhen und für die hohe Zahl Toter und Verletzter. Mit scharfer Munition, Raketen und Panzern hat sie klargestellt, dass ihr an Deeskalation nicht gelegen ist. Sie hat bewusst an die unseligen Zeiten der Besatzung angeknüpft. Das ist ein großer Rückschritt, der nicht nur auf absehbare Zeit die Zusammenarbeit beider Seiten in Sicherheitsfragen behindern wird, sondern vor allem das Gefühl palästinensischer Ohnmacht und Minderwertigkeit verstärkt. Auch das wird nicht ohne Folgen bleiben.
An der einzigen nennenswerten Demonstration der israelischen Friedensbewegung am Montag in Westjerusalem haben sich gerade einmal 75 Menschen beteiligt. Auf israelischer Seite, so der zwangsläufige Eindruck, ist kaum jemand bereit, für den Frieden auch nur sein Haus zu verlassen und auf die Straße zu gehen.
Der Frieden liegt noch in weiter Ferne. Die internationale Öffentlichkeit scheint sich in einer immer währenden Post-Oslo-Euphorie zu befinden. Für die aber gibt es wahrlich keinen Grund. Was sind die blutigen Ausschreitungen letzten Endes anderes als die für unmöglich gehaltene Umkehrung des Friedensprozesses? YASSIN MUSHARBASH
Der Autor ist derzeit Student an der palästinensischen Universität Bir Zeit im Westjordanland
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