piwik no script img

Ziemlich öde trieben es die Rittersleut'

■ Mit einer konzeptionslosen und extrem langatmigen Inszenierung von Tankred Dorsts „Merlin oder das wüste Land“ tat der Regisseur Michael Heicks am Oldenburger Staatstheater einen tiefen Griff ins Klo

Theaterabende in Oldenburg bergen Risiken. Meistens amüsiert man sich nicht. Aber weil hie und da trotzdem Gelungenes durchblitzt, kann man seinem Ärger auch nicht so richtig Luft machen. Sehr, sehr unangenehm wird das Theaterabenteuer allerdings, wenn so schwere Kost wie Tankred Dorsts „Merlin“ mit all seinem Ritter- und Sagengetümmel sich in vierstündiger Opulenz auf der Bühne des Staatstheaters ausbreitet, das Abendbrot mit den Lieben zu Stylingzwecken jäh abgebrochen werden musste und man in der Pause nach zweieinhalb Stunden irgendwo in der Körpermitte lautes Geschrei nach Nudeln in Gorgonzolasauce vernimmt. Sehr unangenehm, denn es wird noch bis zwanzig vor zwölf durch die Schlachten gehumpelt und vom Applaus kriegen die OldenburgerInnen auch nie genug, egal wie's war.

Denn Michael Heicks– Inszenierung von „Merlin oder das wüste Land“ war mitnichten berauschend. Dabei fing alles so viel versprechend an. Geschäftige Businessmen/ -women in Armani bedienen mit aufgeregtem Ernst Handy, Notizblock und Aktenkoffer, über ihnen Flimmern die Kurse auf Bildschirmen. Ein Penner in Ritterrüstung verirrt sich hierher, ein Minnesänger, dessen Lied vom Beginn der Welt kündet. Hört man nicht gern hier, alles auf Zukunft abonniert, raus der Kerl. Geschlossene Gesellschaft.

Vor dem Geldtempel: Hamburger Reeperbahn. Eine Hure in Dirndl mit rotem Lackmantel kriegt ein Kind, Vater unbekannt. Zur Niederkunft schleppt sie sich in die Börse, das Brookervolk ergreift kotzend die Flucht. Auf die Welt kommt ein schon erwachsener Mensch, Merlin (Murat Yeginer). Und sein Vater ist auch angerückt, der Teufel. Sein Plan ist es, den Menschen zu seiner wahren Natur zu führen, zum Bösen. Da die Menschen aber vor ihm persönlich erschrecken, hat er sich diesen Hominiden als Nachkommen geschaffen. Doch Merlin hat von seiner Mutter Hanne auch das Menschliche geerbt, das alles zum Guten der anderen wenden will. Da er die Vergangenheit der Zukunft vorher sehen kann, versucht er diese Gabe zum Wohle der ihm Anbefohlenen zu nutzen; also zum Schutze von Artus, der zufällig das Schwert Excalibur aus dem Felsen zieht, dessen Frau Ginevra und Artus' unehelichem Sohn Mordred.

Viel drin: alte Sagen, der Papst, außerdem trifft Faust auf Ödipus und das kann ja nur Drama werden. Irrwitzigerweise versucht Heicks das Stück vor sich selbst zu bewahren. Da lässt er die sinnliche Präsenz von Anja Scheffer als quirlige Elaine auf die hölzerne Nicola Lembach als Ginevra los, und was dabei rauskommt ist eine ohnesorgsche Rivalinnen-Burleske. Andererseits kann er natürlich nicht anders als den Stoff ernst nehmen und findet dazu wiederum keine Dis-tanz: Alles wird reingepackt, Mittelalter, Jahr Zweitausend, Auschwitz, Yuppies, tuntige Punks, Astronauten und – Ritter, viele Ritter, die einer nach dem anderen ohne sichtliche Anstrengung versuchen dürfen, Excalibur aus dem Fels zu ziehen, um als der auserwählte König zu gelten. Betulich. Wenn man außerdem zur Videoinstallation greift, kann man unmöglich Ritter in Rüstung und Netzhemd auftreten lassen und damit das Genre zugleich angestaubt naturalistisch auffassen.

Nackte Ritter unter Netzhemden, das wäre was gewesen. Das hätte eine Entsprechung ergeben zu den totenköpfigen Masken, in denen der Chor zeitweise hineingeschwebt kommt, verblichene Yuppies in korrekten Anzügen: Die allwährende Ähnlichkeit des Menschlichen, keine Frage der Zeit, des Outfits oder gesellschaftlichen Ranges.

Aber bei Heicks wird alles synchron geschnitten, ohne wenigstens Trash werden zu wollen, und dieser Wille zur zeitübergreifenden Wahrheit schneidet den SchauspielerInnen sichtlich die Luft ab. Sabine Reiffenberg kann ihren Teufel nicht ausreizen – kahlköpfig, schmal, im Anzug, Maske und Mimik des Conférencier im Cabaret beleihend. Lediglich als Lady Morgrause findet sie starke Momente, als Furie im überdimensionalen Lotterbett – grotesk geschminkt, rezitiert sie galoppierenden Oxford-English-Kauderwelsch. Andreas Unglaub ist als Artus tatsächlich unglaubwürdig, denn er macht auf der Bühne in dieser Figur überhaupt keine Entwicklung durch. Und als er sich seinem bis dato verleugneten Sohn Mordred als Vater outet, wirkt das ganze Setting so emotional wie eine Briefmarkensammlung.

Guido Wächter hingegen als Mordred gibt sich sichtlich Mühe, hastet aber sehr durch die Irre seiner Rolle und findet keine dramaturgische Balance. Lediglich Murat Yeginer kann sich in der Hauptrolle entfalten. Denn als Merlin kann er der integere rote Faden sein, an dem sich das Gewurschtel entlanghangelt. Verschmitzt, nachdenklich, fintenreich, sinnlich und immer etwas naiv hinter seinem Wissen stehend, gaunert er sich aufrichtig durch die Zeitreise. Doch auch der gute Merlin ist gegen Ende und nach all dem Geschwafel und Gemetzel sichtlich müde und ratlos. Denn wenn man so viel Gutes will, kann tatsächlich schon mal ganz viel Mist dabei rauskommen.

Marijke Gerwin

Nächste Termine: 20., 25., 30. Oktober, 19.30 Uhr im Oldenburgischen Staatstheater. Karten: Tel.: 0441/222 51 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen