: Frischzellenkur für den Kurfürstendamm
Einst war die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin-Wilmersdorf der Treffpunkt von Ärzten, Psychoanalytikern und Gestalttherapeutinnen. Mit der neuen künstlerischen Leitung unter Thomas Ostermeier und Sasha Waltz kam auch ein anderes Publikum. Ein Blick ins Foyer der Berliner Bühne
von KATJA GEULEN
„Die sind irgendwie respektloser, auch wenn das vielleicht spießig klingt“, sagt eine der Foyerdamen. Die Zuschauer in der Schaubühne am Lehniner Platz sind andere geworden. Sie trinken Bier, kommen zu spät und sind dabei auch noch laut. „Um es böse zu sagen: Das ist Kinopublikum, das ist fast so schlimm wie Schulklassen.“ Mit dem Wechsel der künstlerischen Leitung vor eineinhalb Jahren zu den „Wir sind alle um die dreißig“-Nachwüchslern Thomas Ostermeier und Sasha Waltz, hat sich also nicht nur das Ensemble an der Schaubühne am Kurfürstendamm in Berlin-Wilmersdorf verändert und verjüngt. Das Konzept, zeitgenössisches Theater für junge Menschen zu machen, scheint auch zu funktionieren. Die Stücke, die keine abgehobenen, psychologisierenden Themen behandeln, sondern solche, die jeder aus seinem eigenen noch jungen Leben kennt oder nachvollziehen kann, werden von den jungen Leuten angenommen.
So war auch die Baracke des Deutschen Theaters, die vorherige Spielstätte von Thomas Ostermeier, noch fast mit einem Mitte-typischen hippen Tanz-Klub oder doch zumindest einer Studentenkneipe zu verwechseln: Sofas von Humana am Alexanderplatz (dort gibt es nämlich neben stinkenden Klamotten auch stinkende Möbel), eine provisorische Bar in einem Container und Publikum zwischen zwanzig und dreißig, das sich entweder schick macht oder eben nicht – aber bestimmt nicht, weil man sich zum Theaterbesuch schick macht. Davon ist jetzt zumindest noch ein Teil des Publikums dasselbe geblieben – der nämlich, der den Weg aus den Bars in Berlin-Mitte zum hinteren Teil des Kurfürstendamms gefunden hat.
Obwohl die Annahme, man träfe in dem Wilmersdorfer Theater jetzt nur noch Freaks in Anzug und Anorak mit Heiner-Müller-Brille, die der Kultbewegung „Shoppen und Ficken“ angehören, dann doch so nicht der Realität entspricht. Aber die Premierengäste von Ostermeiers jüngster Inszenierung „Der Name“ am vergangenen Montag wären für H&M-Trendscouts bestimmt interessant gewesen, denn von Dreadlocks mit Parka und Rucksack bis zu blondierten Mähnen mit Haarspange und zweifarbigem, sportlichem Lackhandtäschchen war alles dabei.
Was aber die Klub-Atmosphäre betrifft: Der Bar- und Herumstehbereich der Schaubühne hat den Charme eines Museumsshops. Oder den einer Bibliothek mit Schwimmhalle. Dabei würden sich die Räume des Bauhaus-Baus sicher gut für Partys oder Events eignen. Drei Säle unterschiedlicher Größe mit technotauglichen Betonwänden und ein verglastes Foyer, das von außen jeden, der drinnen sitzt, aussehen lässt wie die großstädtisch tristen „Nachtschwärmer“ von Edward Hopper. Es überwiegt aber die kühle Sachlichkeit der 20er- und 80er-Jahre und damit das Gegenteil von „Jugendkultur“ oder auch einer, der Volksbühne eigenen, angegilbten Gemütlichkeit. Letzere hat es ja geschafft, ein wirklich gemischtes, junges, mittleres und altes, studentisches und proletarischeres Publikum kontinuierlich anzulocken, auch mit thematischen Partys und nächtlichen Rockkonzerten.
Früher, in der „alten“ Schaubühne, gab es ein bestimmtes Stammpublikum. Ein akademisches, etabliertes. Professoren, Rechtsanwälte, Psychoanalytiker und Ärztinnen, Kunstlehrerinnen, Gestaltherapeutinnen. Man zog sich das gute Jackett oder die schwarze Seidenstola über und trank in der Pause ein Weinchen. Man war mit der Schaubühne zusammen älter und gesetzer geworden und kannte die Namen der Schauspieler. Man hielt ein Schwätzchen mit der Dame, die die Programmhefte hat, teilte mit ihr die Freude über die gelungene Inszenierung oder die Begeisterung über Edith Clevers Geschrei. Und die Foyerdame kannte manches Gesicht schon seit Jahren: der da ist Jutta-Lampe-Fan, der kommt in jedes Stück, das sie spielt.
Zumindest in der postexperimentellen, eher ästhetischen Phase der „alten“ Schaubühne – also seit Mitte der 80er-Jahre – ging es bestimmt nicht mehr um 68er-Werte und Sozialkritik, sondern um Stars und Bühnenbilder, über die man mitreden können wollte.
Heute scheint es an der Schaubühne eher am jeweiligen Stück zu liegen, wer kommt. Es scheint sogar so zu sein: Lebt der Autor noch, kommen die Jungen – ist der Autor tot, kommen vor allem die Alten. (Mit Ausnahme der Dramatikerin Sarah Kane, die sich vor anderthalb Jahren 27-jährig das Leben nahm).
Zum Beispiel Brecht: Bei einem Publikumsgespräch zu „Mann ist Mann“ ist ein älterer Herr, der noch das „Berliner Angsambel“ aus besseren Zeiten kennt, enttäuscht, dass von der brechttypischen Sprache nicht viel übrig blieb. Ein Junger wiederum versteht gar nicht, wieso Ostermeier das Stück überhaupt im Spielplan hat: „Das ist vielleicht ein netter Theaterabend, aber das hat ja nichts mit mir und meinem Leben zu tun.“ Das zeigt die Spanne des Spielplanes, aber auch die Vielfalt der Erwartungen, mit denen die neuen Macher der Schaubühne konfrontiert sind. Es wäre wohl auch nicht nur zu einseitig, sondern auch riskant, sich ausschließlich auf die Zielgruppe Nachwuchs zu verlassen. Auch wenn Ostermeier kürzlich in einem Interview sagte: „Ich will die Jungen abholen, mit Inszenierungen, wo sie den Problemen begegnen, die sie von zu Hause oder aus dem Kino kennen.“ Na, solange sie dabei kein Popcorn und keine Nachos essen . . .
Bei ebenjenem Publikumsgespräch, bei dem man das Bier nicht aus dem Foyer wieder mit in den Saal nehmen darf, outen sich die Schauspieler übrigens selber als Schulklasse: Tuschelnd und kichernd wollen sie lieber auf dem Boden als auf Stühlen sitzen und melden sich ungern zu Wort. Zum Glück wird der Klassenbeste Ostermeier darauf hingewiesen, wenn doch jemand anderes mal was sagen will.
Felix Schmieder-Henninger, der Pressechef der Schaubühne, beobachtet den Wandel im Publikum und sieht das Wegbleiben des Großteils des alten Stammpublikums gelassen: „Die werden schon wieder kommen, wenn das hier ‚in‘ ist.“ Bei den Tanz-Stücken, dem zweiten Schwerpunkt der neuen Schaubühne, hat das schon geklappt. Fürs Sprechtheater hat er auch Herausforderungen gefunden: „Die Alten sagen vielleicht: Ihr seid nicht so gut wie Peter Stein, und die Jungen sagen: Ihr seid nicht so gut wie MTV.“
Aber so schlimm ist es ja gar nicht, die Leute kommen ja, und eben nicht nur ausschließlich diese oder jene. Und ob man die Kids von der Glotze ins Theater locken kann und muss, ist vielleicht auch nicht die entscheidende Frage. Als möglicher Party-Ort ist der Lehniner Platz eigentlich leider auch zu weit ab vom Schuss. Dafür wird es in dieser Spielzeit aber noch Stücke von Autoren geben, deren Todestag sogar im vorletzten Jahrhundert liegt!
Ostermeier sprach in oben erwähntem Interview von der Möglichkeit eines Vater-Sohn-Theaters (wenn auch nicht ganz klar wird, was das ist). Für das Publikum zumindest wäre das durchaus denkbar: Früher nahmen die Eltern ihre Kinder mit in die Schaubühne, jetzt ist es andersherum. Und viele der „Wir um die dreißig“-Zuschauer sind schon auf dem besten Weg, ein akademisches, etabliertes Publikum zu werden.
Hinweis:Lebt der Autor noch, kommen die Jungen, ist der Autor tot, kommen die Alten. Die Alten sagen dann: Ihr seid nicht so gut wie Stein, und die Jungen: Ihr seid nichts gegen MTV.
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