: Prager Bekanntschaften
Alles nur Gerüchte? Der eine klagt über einen Rippenbruch. Eine andere stürzt sich aus dem Fenster der Polizeiwache. Ein Dritter kassiert Tritte ins Gesicht
aus Prag ULRIKE BRAUN
Arne Michael Holz war spurlos verschwunden. Mit der Hannover Fahraddemo hatte sich der 33-jährige Hamburger schon Anfang September in Richtung Prag aufgemacht, um dort gegen die Tagung von IWF und Weltbank zu demonstrieren.
Während der Unruhen am Abend des 26. November gehörte auch er zu den 330 Ausländern, die die tschechische Polizei festnahm. Im Gegensatz zu den meisten wurde er aber nicht in das Abschiebelager Balkova in der Nähe von Pilsen verfrachtet, sondern gleich in die berüchtigte Prager Haftanstalt Pankrac.
„Mein Sohn ist kein Steinewerfer, ich habe zwei Zeugen dafür, dass er sich friedlich benommen hat und sogar die Polizei gefragt hat, wie er aus der randalierenden Menge herauskommt“, sagt Vater Dirk, der sich besorgt nach Prag aufgemacht hat, als er erfuhr, wo sein Sohn steckte. Das war erst am 2. Oktober, vier Tage nach dessen Verhaftung.
Monatelang hatten Polizei und Innenministerium unter Prager Bürgern Angst und Hysterie geschürt. Nicht die Fenster öffnen, nicht mit Demonstranten reden, möglichst die Stadt verlassen – so hieß es in einem Flugblatt, das die Bezirksverwaltung von Prag 2 an alle Bewohner verteilen ließ. Chaoten aus aller Welt, so die Botschaft, würden in die Moldaustadt kommen, mit dem einen Ziel: diese Schutt und Asche zu legen. Selbst der IWF kritisierte, man würde sich in Tschechien zu sehr auf erwartete Proteste und zu wenig auf die Tagung selbst vorbereiten.
Die Proteste blieben friedlich – bis eben zu jenem Dienstag, den 26. September. Ziel der Demonstration dieses Tages war, die IWF- und Weltbankdelegierten in ihrem Tagungsort einzuschließen. Der Mehrheit der Demonstranten gelang das auch – sie blockierten einfach die Nuselsky most, die Brücke, die zum Tagungszentrum führt. Während oben an der Brücke ein gemütlichesHappening stattfand, störte unten im Tal das Krachen von Molotowcocktails und Tränengasgeschossen. Die Straßenschlacht hatte begonnen.
„Wir sind unsere abgemachte Demoroute in Richtung Kongresszentrum gelaufen“, sagt Marcus vom Independent Media Centre (IMC). „Plötzlich ist der Zug in eine Seitenstraße abgebogen, die gar nicht auf unserem Plan war. Mein Freund und ich dachten nur, verdammt noch mal, und sind die eigentliche Route weiter gelaufen. Das Kongresszentrum stand direkt vor uns, kein einziger Polizist war zu sehen. Es kam uns komisch vor, aber als wir dann die ersten Molotowcocktails fliegen hörten, wussten wir, dass sie uns in eine Falle gelockt haben.“
Jan Kubata und Lucie Tvaružkova haben die Demonstration für die tschechische Presse beobachtet. „Zivilpolizisten sind leicht zu erkennen“, sagt Lucie Tvaružkova: An den Kapuzen, unter denen sie ihre Mikrofone versteckt halten. An den Polizeistiefeln. An dem „etwas verzweifelten“ (Tvaružkova) Versuch, wie ein linker Demonstrant auszusehen. „Ja, und sie machen immer den Eindruck, als ob sie mit sich selbst sprechen“, sagt Jan Kubata. Solche Polizisten in Zivil wollen beide Journalisten an der Spitze des Demonstrationszuges am Nachmittag gesehen haben: „Die haben die Demonstranten in eine kleine Seitenstraße geführt und dort direkt in die Arme der Einsatzpolizei.“
Rund zweitausend Zivilpolizisten sollen sich unter die Demonstranten gemischt haben, heißt es bei der Prager Polizei. Natürlich nur, um Ruhe und Ordnung zu bewahren!
Lernen muss die tschechische Polizei noch viel. Zum Beispiel, dass man vermeiden sollte, vor den Augen von Journalisten – die sich bei der Demonstration ja alle durch rote Westchen kennzeichnen mussten – in den Kampf zu schreiten. Jan Kubata, von der tschechischen Tageszeitung Lidove noviny hat beobachtet, wie ein maskierter Mann am frühen Abend jenes Dienstags das Schaufenster eines Ladens eingeschmissen und sich auch daran beteiligt hat, die Scheiben einer Bankfiliale zu zertrümmern. Ein paar Minuten darauf, sagt Jan Kubata, habe dieser dann Aktivisten festgenommen. „Nicht aber mit den Worten ,Polizei der Tschechischen Republik‘, wie es das Gesetz vorschreibt“, ergänzt Kollegin Lucie Tvaružkova, „sondern einfach mit ,Komm jetzt‘, oder ,Ab geht's‘“.
Nicht nur auf der Straße soll sich die Polizei wider die Gesetze verhalten haben. Noch härter ging es erst nach den Verhaftungen zu: „Mir wurden die Hände mit einem Kabelbinder zusammengeschnürt“, berichtet Ingo, der am schon am Vorabend der Krawalle in der Prager Innenstadt das Vergnügen hatte, die tschechische Staatsgewalt etwas näher kennen zu lernen. „Sie rannten auf uns zu, rissen uns zu Boden und traten und schlugen uns“, schildert er seine Verhaftung. Er und sein Freund Norman wurden in einen Bus gezerrt, dort geschlagen und in Gesicht und Oberkörper getreten.
Andere Zeugen berichten von Erniedrigungen. So wurden Frauen von männlichen Polizisten durchsucht, mussten sich vor ihnen ausziehen. Eine 26-jährige Amerikanerin sprang aus Panik aus dem ersten Stock einer Polizeiwache in Prag. Die Polizei habe sich ihr gegenüber aggressiv und gesetzeswidrig benommen, über 20 Stunden lang sei sie auf der Wache gehalten worden, ohne das ihr gesetzlich verbriefte Recht auf einen Telefonanruf gewährt zu bekommen. Schwer verletzt wurde sie nach ihrem Sprung in ein Krankenhaus eingeliefert, von wo aus ein Arzt anonym die Menschenrechtsorganisation „Zivile Bürgerstreife“ (OPH) benachrichtigte.
Es sollte nicht beim Hilferuf des Arztes bleiben. „Immer wieder erreichten uns in den Tagen nach der Demo Anrufe aus allen Ecken der Welt“, sagt OPH-Sprecher Marek Vesely. „Keiner der Verhafteten durfte telefonieren, ihre Freunde und Angehörigen suchten sie verzweifelt.“ In zwei Fällen hat die OPH bereits Anzeige erstattet.
Es war auch die OPH, über die Dirk Holz vom Schicksal seines Sohnes erfuhr. „Sobald ich wusste, wo er war setzte ich mich mit meinem Sohn Thorge ins Auto und fuhr die 800 Kilometer von Hamburg nach Prag.“ Seine Hoffnung, mit seinem Sohn zu sprechen, hat sich nicht erfüllt. Arne Holz wird Angriff auf einen Amtsträger vorgeworfen, wegen Verdunkelungsgefahr darf, außer seinem Pflichtverteidiger und seiner Dolmetscherin, niemand zu ihm. „Jetzt versucht die deutsche Botschaft, mir einen Besuchstermin zu besorgen, bis Mitte Oktober könnte das klappen“, hofft Vater Holz. Etwas beruhigter, als er in Prag angekommen ist, ist er wieder nach Hamburg zurückgefahren. „Wenigstens weiß ich, wo mein Sohn, der nieren- und leberkrank ist, sich überhaupt befindet. So lange Arne noch in Haft ist, will er nicht zu viel über die Gefängnisbedingungen aussagen.“
Die Bedingungen, die auf der Prager Polizeiwache herrschten, kann Ingo, der sich wieder in Deutschland befindet, beschreiben: „In der Zelle war es so eng, dass nur drei von uns auf der Seite liegend auf den Fliesen etwas schlafen konnten. Der Rest musste mit angezogenen Beinen sitzen.“ Das sei noch nicht alles gewesen: „Sie rissen die Türen auf, knallten sie wieder zu, Licht an, Licht aus, und dann wieder Schreie“, beschreibt Ingo seine erste Nacht auf der Polizeiwache. Für tausend Kronen Bußgeld, so ließ die Polizei mitteilen, würde sich ihre Situation etwas verbessern. Am nächsten Tag, dem Mittwoch, wurden sie in das Abschiebelager Balkova bei Pilsen verfrachtet. Dort wurden Freunde und Demonstranten gleicher Nationalität voneinander getrennt: „Dann wurden wir medizinisch untersucht. Vor dem Arztzimmer saß ein Punk mit Gips. Sie hatten ihm den Arm gebrochen, und er erbrach Blut.“ Erst 24 Stunden nach der Festnahme, so Ingo, hätten die Demonstranten zu essen und trinken bekommen. Danach mussten sie die Rechte und Pflichten der Gefangenen unterschreiben. „Telefonieren und eine Stunde Ausgang pro Tag wurden uns aber, obwohl das dort stand, nicht gewährt.“ Nach drei Tagen, am Freitag, den 29. September wurden die meisten der Gefangenen freigelassen und des Landes verwiesen. Nach drei Tagen durfte eine Mitarbeiterin des Menschenrechtsbeauftragten der tschechischen Regierung, Petr Uhl, zum ersten Mal das Lager Balkova besuchen. Da waren viele schon weg. Auch Ingo, der in Deutschland nun seinen Rippenbruch behandeln lässt.
Die Berichte über die Polizeibrutalität seien eine gezielte Aktion in- und ausländischer Aktivisten, sagt Innenminister Stanislav Gross. Seine Polizei habe sich korrekt verhalten. Im übrigen plane er, jetzt Gummigeschosse und ein Vermummungsverbot durchzusetzen.
„Wir sind uns zu neunzig Prozent sicher, dass unter den Zivilpolizisten auch Provokateure waren“, sagt Marek Vesely vom OPH. So wie sein Kollege Dusan Stuchlik, der davon erzählt, wie ein Mann die Scheiben eines McDonalds zertrümmerte und dann unbehelligt hinter dem Kordon der Einsatzpolizei verschwand. „Dabei ließen die Polizisten zu diesem Zeitpunkt weder uns, noch die Presse durch ihre Reihen“, sagt Stuchlik.
Journalistin Lucie Tvaružkova hat da so ihre eigene Theorie: „Der tschechische Staat hat Millionen von Kronen für Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben, das wäre ja alles umsonst gewesen, wenn es gar keine Krawalle gegeben hätte.“
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