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„Gegen den völkischen Konsens“

Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv Berlin warnt vor Verboten gegen Rechtsextremisten. Wichtiger sei es, den rechten Mainstream zu durchbrechen. Dafür müsse man antirassistische Jugendkultur vor Ort stärkenInterview PHILIPP GESSLER

taz: Herr Jentsch, seit Jahren arbeiten Sie beim Antifaschistischen Pressearchiv zum Thema Rechtsextremismus. Nun wurde es zum Sommerloch-Thema. Überrascht?

Ulli Jentsch: Die meisten Leute, die seit Jahren beobachten, was passiert, sind ziemlich überrascht, welchen Umfang die Diskussion in den Medien und der Gesellschaft angenommen hat. Überrascht auch deshalb, da die Vorfälle, die die ganze Debatte ausgelöst haben, etwa der Mord an dem Mosambikaner in Dessau, im Grunde keine neue Qualität darstellten. Viele, die zu diesem Thema eine Menge gemacht haben, waren zuvor eher verzweifelt, wie gering die Resonanz auf erschreckende Ereignisse war. Von daher war das mit Sicherheit überraschend. Letztendlich liegt es daran, dass sich bestimme Politiker dieses Themas angenommen haben.

Wer vor allem?

Etwa Bundestagsprädisent Wolfgang Thierse, auch schon vor der Sommerloch-Debatte. Aber auch andere von den Grünen oder von der SPD haben dafür gesorgt, dass die Medien das Thema stärker aufgegriffen haben. Seit der Asyldebatte ist bekannt, dass von oben vorgegebene Themen stärker ins Medieninteresse rücken, als wenn Initiativen von unten immer wieder auf Missstände aufmerksam machen.

Wird die Debatte weitergehen, jetzt, da der Sommer vorüber ist?

Ich denke schon. Denn die Debatte hat doch einiges verändert. Es ist lange her, dass so breit und so intensiv über dieses Thema geredet wurde. Es gibt bei einigen das Interesse, konkrete Schritte einzuleiten und umzusetzen. Inwieweit das von Erfolg geprägt sein wird, ist mir unklar. Da ist noch so einiges im Argen, weil die Antworten der deutschen Politiker sehr schnell in die Richtung gehen: hier ein Verbot, dort eine Strafverschärfung, Demonstrationsverbot am Brandenburger Tor etc. So etwas geht ganz klar in die falsche Richtung.

Hat diese Sommerdebatte dem antifaschistischen Kampf etwas gebracht?

Dem antifaschistischen Kampf – was ist das? Viele antifaschistischen Initiativen waren in dieser Debatte überhaupt nicht präsent. Sie sind zu schwach, um an diesem Punkt zu intervenieren und ihre eigene Meinung zu artikulieren.

Woran liegt das?

Es sind einfach nicht sehr viele Leute, die als Antifaschisten aktiv sind. Es liegt aber auch daran, dass innerhalb der Debatte der Bedarf an Meinungsäußerungen von Leuten, die sich seit Jahren damit beschäftigen, doch relativ gering war. Harte Fakten sind interessant, das wissen die Presseleute seit Jahren.

Es gibt viele Journalisten, die schreiben ihre Artikel aufgrund von Informationen, die sie von antifaschistischen Initiativen vor Ort bekommen. Aber deren Einschätzungen werden natürlich nicht übernommen. Doch wer nur über die Fakten schreibt, aber falsche Einschätzungen daraus zieht, sollte eines Besseren belehrt werden. Es gibt klare Analysen, in denen wir schon vor fünf Jahren vor rechtem Terror gewarnt haben. Genau vor den Leuten, die jetzt als Rädelsführer bekannt wurden, haben wir schon vor fünf Jahren gewarnt.

Wollte man nur die Namen und Fakten haben, aber sperrte man sich bisher der Erkenntnis, dass dieser Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft kommt?

Mit Sicherheit: Das ist das zentrale Problem. Verantwortung zu übernehmen für das, was alltäglich passiert, heißt es ja nichts anderes, als auch Verantwortung zu übernehmen für den eigenen Anteil an dieser ganzen Geschichte. Vor allem in kleineren Städten und Kommunen wird nach jedem rechtsextremistische Vorfall ein Verantwortungskarussell losgetreten: Die Bürgermeister verweisen auf die Polizei, die Polizei verweist auf die Schulen, die Schulen verweisen auf die Eltern, die Eltern verweisen wieder auf die Politik. Wenn die Debatte jetzt vielleicht dazu führt, dass dieses Keine-Verantwortung-Übernehmen durchbrochen wird, dann ist mit Sicherheit schon ein bisschen was erreicht.

Ist sich die Gesellschaft denn heute mehr als vor der Debatte auch dessen bewusst, dass sie in ihrer Mitte betroffen ist?

Nein, im Großen und Ganzen glaube ich das noch nicht. Denn es ist ja sehr einfach, die Neonazis zu stigmatisieren: Sie sehen anders aus, sie benehmen sich anders, sie haben einen Lifestyle drauf, den sehr viele nicht teilen, auch wenn sie selber Rassisten sind. Und Neonazis sind sehr gewalttätig. Daraus entsteht Distanz zu ihnen und zu gewaltbereiten Jugendlichen. Nichtsdestotrotz wird gesagt: „Die Inhalte oder Aussagen, worüber diese Jungs böse sind, können wir sehr gut nachvollziehen.“ Den Rassismus, den völkischen Konsens zu brechen, das wird sehr, sehr schwer.

Da sind die Signale natürlich auch von oben gefragt: Doppelte Staatsbürgerschaft, Anti-Diskriminierungs-Gesetz etc. Es gibt nicht nur einfach Ausländer in diesem Land, sondern sie genießen die gleichen Menschenrechte wie alle anderen auch. All das ist noch nicht deutlich genug geworden, auch nicht in der bisherigen Debatte. Es hat zwar sehr klare Stimmen in dieser Richtung gegeben. Das ist eine ziemlich gute Entwicklung und auch anderes als Anfang der 90er. Aber das ist noch nicht genug.

Welche Wirkung hatte die ganze Debatte auf die Rechten?

Eine Verunsicherung ist sicherlich da. Denn gerade durch Verbote oder repressive Maßnahmen werden Mitläufer zunächst einmal abgeschreckt. Wenn man sich die rechten Demonstrationen der letzten Wochen anschaut, dann waren die zum Teil kleiner, hatten nicht das Ausmaß und die erhoffte Medienwirkung wie bisher. Zwischen der NPD und den freien Kameradschaften, die ja sehr eng zusammen arbeiten, hat es etwas mehr als eine atmosphärische Störung gegeben. Es gibt da durchaus Distanzierungen untereinander, die nicht neu sind, aber jetzt deutlicher zu Tage treten.

Es wird sich aber auch ein ganz massiver Teil überhaupt nicht davon abschrecken lassen. Das ist auch klar. Gerade im militanten Neonazi-Bereich ist das Motto schon lange: „Viel Feind, viel Ehr“. Staatliche Repression adelt die Bewegung und führt nicht unbedingt dazu, dass sie als Ganzes vom Glauben abschwört.

Von Sozialarbeitern hört man, dass manche rechte Kids, die der Presse interviewt werden, in ihrer Ansicht bestärkt werden, da sie auf einmal in der Öffentlichkeit stehen und Anerkennung finden.

Ja, aber man darf auch nicht vergessen, dass es zur Zeit eine Art rechten Mainstream gibt, gerade in der Jugend. Der sagt zum Beispiel: „Ich bin nicht rechts oder ich bin kein Neonazi, aber ich bin gegen Ausländer, ich bin dafür, dass nur Deutsche in Deutschland leben, Deutschsein heißt, deutsches Blut in den Adern zu haben.“ Das ist eine völkische Ideologie, die ganz tief drinsteckt. Niemand würde es in diesen Cliquen wagen, mit ausländischen Jugendlichen irgendetwas anzufangen. Es geht so weit, dass Döner-Essen verboten ist. Das hat weniger mit politischer Organisierung als mit Lifestyle und Jugendkultur zu tun. In vielen Jugendkulturen sind rechtsextremistische Versatzstücke mittlerweile so normal geworden, dass sie gar nicht mehr als neonazistische Positionen wahrgenommen werden. Durch die derzeit laufende Debatte fühlen sich diese Jugendlichen deshalb nicht direkt betroffen.

Was kann man denn gegen diese rechte Jugendkultur tun?

Das ist eine Frage, die sich viele Leute schon seit Jahren stellen. Ich weiß da auch keine kurze, knappe, gute Antwort. Es gibt gute Ansätze. Aufklärung ist nach wie vor ein ganz wichtiger Punkt. Da wurde immer noch nicht genug gemacht. Wir erwarten, dass Jugendarbeit prinzipiell antirassistisch ist. Dies findet sich in den Ausbildungsplänen für Multiplikatoren aber kaum wieder.

Ein weiterer Bereich, auf den wir sehr viel Wert legen, ist, wegzukommen von den Tätern und sich nur mit der Motivation der Täter auseinander zu setzen. Vehement demokratische, antirassistische, nicht-rechte Jugendkulturen, von denen es noch etliche gibt, müsste man viel stärker fördern und dabei klar machen: „Das sind die Jugendlichen, die es richtig machen.“

Die Hegemonie von Rechten in kleineren Kommunen gibt es auch deshalb, weil Alternativen fehlen. In vielen kleinen Städten in Brandenburg ist es üblich, dass nicht-rechte Jugendliche ihre Orte verlassen, sobald sie das können. Und die Kommunen sind auch noch froh, die unangepassten Störenfriede los zu werden. Erst wenn sie eine Perspektive vor Ort bekommen, wird sich vor Ort auch etwas ändern.

Und was würde das viel diskutierte Verbot der NPD bringen?

Grundsätzlich bin ich kein Freund von Verboten. Wir haben sehr viele Verbote gehabt in den Jahren 1992 bis 94. Der Effekt war sehr beschränkt. Das wird ja auch allgemein so zugegeben. Klar aber ist: Durch organisatorische und strukturelle Änderungen in den letzten Jahren hat sich die NPD zu einer kämpferischen und im Kern neofaschistischen Partei entwickelt. Sie steht ganz klar gegen das System. Das ist eine klare Aussage von der NPD selber oder von einzelnen Funktionären, die man überall immer wieder nachlesen kann. Durch ein Verbot würde die organisatorische Struktur wegfallen. Dann müssen sich die Leute, die weitermachen wollen, etwas Neues suchen.

Die wesentlichen Fragen bleiben ungelöst: Was ist das für eine Ideologie? Wie konnte sie so wachsen? Was ist die Beihilfe zu dieser rechtsextremistischen Ideologie, die auch aus der Mitte der Gesellschaft kommt? Warum ist das so attraktiv?

Haben Sie die Hoffnung, dass die Gesellschaft in dieser Richtung auch aktiv wird?

Ich habe da meine Zweifel. Ich bin da sehr skeptisch. Es hat in der Vergangenheit, gerade in den Neunzigerjahren, etliche Diskussionen gegeben, bei der diese so genannte Ausländerproblematik von der Politik knallhart funktionalisiert wurde. Da haben sich sehr viele, gerade von den großen Volksparteien, sowohl SPD wie CDU und CSU, nicht unbedingt mit rassistischen Äußerungen zurückgehalten.

Der entscheidende Punkt für viele der Politiker jetzt ist zum Beispiel der Imageschaden und die Verluste der deutschen Wirtschaft. Da sagen wir: Ist ja alles ganz schön und gut, wenn es dazu reicht, etwas gegen Rassismus machen zu wollen, aber das löst natürlich nicht im Kern die Frage, wie in Zukunft Ausländer, Flüchtlinge, Deutsche mit nichtweißer Hautfarbe mit uns leben werden. Wenn wir die weiter wie Menschen zweiter Klasse behandeln, und wenn auch die Politik daran festhalten will, wenn sie nicht deutliche Zeichen setzen will und zum Beispiel nicht zu einem modernen Staatsbürgerschaftsrecht kommen will oder das diskriminierende Asylgesetz ändert, glaube ich nicht, dass die momentanen Äußerungen mehr sind als heiße Luft. Den ideologischen Umschwung weg vom Rassismus sehe ich momentan noch nicht.

Das klingt nach Resignation.

Immerhin: Die Kommunen, die früh reagiert haben, haben nun weniger Probleme mit Neonazis als diejenigen, die das Problem verdrängt haben. Das ist eine Frage der politischen Kultur. Aber leider ist es oft auch so, dass wir gegen Gummiwände rennen – etwa, wenn in einer Berufsschulklasse ein Drittel der Schüler sagt, den Ausländern werde automatisch ein Auto geschenkt, wenn sie nach Deutschland kommen.

Wir dürfen nie vergessen, dass die Rechtsradikalen Kinder unserer Erziehung, unserer Elternhäuser und unserer Medien sind. Erst wenn sich da etwas ändert, wird sich auch etwas beim Rechtsextremismus bewegen.

Das ist ein langer Weg.

Bei uns ist auch da viel Bitterkeit. Wir fühlen uns oft wie die Ausputzer, obwohl die Gesellschaft früher zu uns sagte: „Ihr seid die Kriminellen.“ Viele von uns sind schnell ausgebrannt. Es gibt nur wenige, die aktiv sind, und es gibt eine große Fluktuation. Man braucht für diese Arbeit viel Selbstdistanz und muss bereit sein, sich körperlich und psychisch ein wenig aufzuopfern. Für einen kleinen Punker in einem Dorf in Thüringen heißt Zivilcourage, mit dem Rücken zur Wand zu stehen und trotzdem das Maul nicht zu halten – da gehört einiges dazu. Und wir haben schon genug von denen zu Grabe getragen.

Zitate:ÜBER EIN NPD-VERBOT:„Die Organisation würde wegfallen. Wesentliche Fragen aber blieben ungelöst“

ÜBER ANTIFA-ARBEIT:„Wir haben schon vor fünf Jahren vor den Rädelsführern gewarnt“

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