: Lieber Strom als Demokratie
Nach einem Jahr Militärherrschaft in Pakistan schickt sich General Musharraf an, den Übergang zur Demokratie vorzubereiten. Doch die Wirtschaftslage bleibt weiter desolat
KARACHI taz ■ „Wir glauben an den Aufbau der Demokratie, nicht an deren Wiederherstellung“, sagt Attiya Inayatullah, „denn da gibt es nichts wiederherzustellen“. Inayatullah, Sozialreformerin, war nach dem Militärcoup vom 12. Oktober letzten Jahres ins Kabinett von General Pervez Musharraf eingetreten. Sie hatte den Glauben verloren, dass Pakistans Politiker Demokraten sind. Sie glaubte Musharraf, als dieser nach dem Putsch versprach, die Armee nur so lange regieren zu lassen, bis eine „wahre Demokratie“ installiert sei. „Im August 2002“, sagt Inayatullah, „wird die Armee ihre Macht abgeben, ans Volk, und nicht an korrupte Politiker.“
Die Zeit bis dahin wird die Armee brauchen können. Vorläufig hat sie nur vage Vorstellungen, wie sie ohne politische Parteien Wahlen organisieren kann. Ein erster Versuch sind die anstehenden Lokalwahlen. Statt als Parteivertreter mit einem bestimmten Programm werden für die Posten von Dorf-, Stadt- und Bezirksräten Mitglieder sozialer Gruppen gewählt: Ein Drittel müssen Frauen sein, religiöse Minderheiten müssen eine Mindestvertretung haben, ebenso wie Bauern und Arbeiter. Der Publizist Irfan Husain bezweifelt, dass damit informelle Koalitionen verhindert werden, die sich zu parteiähnlichen Formationen gruppieren. Zudem ist die Gefahr von Bestechung größer. „Keine Parteidisziplin zwingt einen Unabhängigen, sich einem Politiker anzuschließen.“
Vorläufig genießen die Militärs noch ihre Macht. Zwar hat Musharraf ein Kabinett aus Zivilisten gebildet, die anerkannte Fachleute sind. Inayatullah setze ein Gesetz durch, die Kindern erstmals Rechtsschutz gewährt. Eine Nationale Frauenkommission soll dafür sorgen, dass Frauen in allen öffentlichen Ämtern eine Drittelvertretung erhalten.
Nach großem Widerstand hat der Finanzminister durchgesetzt, dass die Kleinhändler ihre Steuerformulare ausfüllen. Gleichzeitig macht die Armee klar, dass sie das Sagen hat. In den Provinzen ist nicht der Zivilgouverneur die höchste Autorität, sondern der Korpskommandant, der jede Versetzung eines hohen Beamten absegnet. Er kann auch, wie kürzlich in Karachi, Soldaten in Zeitungsredaktionen schicken, um zu prüfen, ob sie die Stromrechnungen bezahlt haben – was eine Warnung bedeutet, sich nicht zu viel zu erlauben. Hohe Offiziere und Richter sind von den Untersuchungen der zehn Antikorruptionsgerichte ausgenommen.
Dennoch ist es General Musharraf gelungen, ein gewisses Maß an Legitimität zu bewahren. Das liegt an der Offenheit, mit der er die Schwächen, wie Korruption und Ineffizienz, die skandalösen sozialen Missstände und die ökonomische Stagnation, anprangert. Auch die Fähigkeit, sich mit ausgewiesenen Fachleuten zu umgeben, wird ihm gutgeschrieben. Trotz Warnungen an die Presse genießt diese viel Narrenfreiheit.
Wenn die Popularität der Militärs dennoch sinkt, dann vor allem wegen der Unfähigkeit, die Wirtschaftskrise zu bewältigen. Die politischen Krisen der letzten zwei Jahre – Atomtests, Kaschmir, der Putsch der Generäle – haben Pakistan isoliert. Eine Rekordernte bei der Baumwolle, die 60 Prozent der Exporterlöse einbringt, hat das Schlimmste bisher verhindert.
Dennoch lebt das Land, mit Devisenreserven von nur einigen Wochen, von der Hand in den Mund. Die Preise für Grundnahrungsmittel haben um 30 bis 40 Prozent angezogen, die Tarife für die öffentlichen Transportmittel sich verdoppelt. Zu den regelmäßigen Stromstillständen kommt auch noch akuter Wassermangel, weil die Pumpen stillstehen. „Was kümmert uns, wer in Islamabad am Ruder ist“, sagt eine Bankangestellte in Karachi. „Sie sollen zeigen, dass sie das Haus in Ordnung bringen.“ Eine Militärregierung, die sich nicht nur auf ihre Bayonette stützt, wird sich dieser Form demokratischer Meinungsgäußerung nicht lange entziehen können. BERNHARD IMHASLY
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