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Frohe Botschaft auf 56 Seiten

Das „SZ-Magazin“ hat ein streng protestantisches Brüderchen bekommen: „Chrisma“ löst das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ ab und soll mit 1,3 Millionen Exemplaren für den christlichen Glauben werben. Unauffällig, versteht sich

von ARNO FRANK

Das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt (DAS) ist tot. Am 13. Oktober ging es den Weg vieler defizitärer Zeitungen und verschied nach immerhin 52-jähriger Wirkungsgeschichte. Und doch behaupten seit gestern unbeirrt Menschen, sie hätten das Sonntagsblatt wieder gesehen. Frischer, farbiger, kompakter. Aus der Süddeutschen Zeitung (SZ) sei es ihnen entgegengeflattert, wiederauferstanden auch aus der Frankfurter Rundschau (FR). Chrisma nenne es sich jetzt. Ein Wunder?

Die durchaus unchristliche Reinkarnation des Sonntagsblattes als Chrisma hat weltliche Gründe: Mit 4,5 Millionen Mark jählich unterstützt die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) ihr mediales Flaggschiff – das Sonntagsblatt hatte zuletzt, bei einer verkauften Auflage von 43.000 wöchentlich, gut das Doppelte an Zuschüssen verschlungen. Chrisma klotzt nun mit monatlich 1,3 Exemplaren, die, geografisch ausgewogen, der Münchener Süddeutschen, der Frankfurter Rundschau, der Hamburger Zeit (am 19. 10.) und der Sächsischen Zeitung (am 18. 10.) beiliegen, für Abonnenten gibt’s das dickere Chrisma plus. Der protestantische Zungenschlag des Vorgängers soll erhalten bleiben. Chrisma sei, so Bischof und Mitherausgeber Johannes Friedrich, „den geistigen Grundlagen des Sonntagsblattes ebenso verbunden wie den Kriterien des Qualitätsjournalismus“.

Was Ästhetik und Anmutung des Magazins anbelangt, so orientiert sich Chrisma auf seinen 56 Seiten deutlich an einem anderen Qualitätsjournal aus gleichem Hause: Den Spagat zwischen üppig bebilderten Fotostrecken und Mut zur Bleiwüste hat das SZ-Magazin vorgemacht – wie Chrisma ein Produkt des Süddeutschen Verlages. Inhaltlich unterscheiden sich die Magazine aber wie Kain von Abel. Wie ein blasser, spießiger Bruder des SZ-Magazins kommt Chrisma daher – solide, betulich und mit durchweg froher Botschaft. Die Titelgeschichte weist „Neue Wege aus der Scheidungsfalle“, Rezepte beschränken sich auf „Gerichte aus der Bibel“. Wie erhellend die protestantische Perspektive sein kann, zeigt ein unterhaltsames Streitgespräch zwischen Pfarrer Jürgen Fliege und dem jüngst verknackten „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill. Fliege: „Das Böse überlebt in Richter Schill“, Schill: „In mir?“ Andernorts aber erfahren wir, dass auch Kampfhunde „Mitgeschöpfe“ sind, dass „viele sich über die Kirchensteuer beklagen“ und dass es – Eltern und DFB, aufgepasst! – jetzt eine Bürste gibt, die Drogenkonsum per Haaranalyse nachweist. Schön. Noch schöner ist nur die Meldung, dass „der Glaube an die Existenz Gottes, eine positive Haltung zu Glaubensfragen und die Kirchengemeinschaft“ glücklich machen. So enthüllt Chrisma nebenbei den tieferen Sinn protestantischer Publizistik: ein Heilsversprechen zu erneuern, das älter ist als 52 Jahre und erfolgreicher noch als Jürgen Fliege.

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