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machtprobe in nahostKoexistenz ist ohne Vertrag möglich

Was auch immer in den kommenden Tagen passiert: Fest steht, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen werden könnten, auch wenn es einen Endstatus-Vertrag, egal in welcher Form, vorläufig nicht geben wird. Dazu haben die Unruhen der vergangenen drei Wochen zu tiefe Wunden geschlagen. Die Bilder der aufgebrachten Menschenmenge in Ramallah, die über zwei israelische Soldaten herfiel und sie lynchte, wirkten stärker auf die öffentliche Meinung als der beste Propagandafilm jüdischer Siedler. Während vor dem Morden ungefähr die Hälfte der Israelis für den Friedensprozess war, ist die Waage mittlerweile deutlich zugunsten der Gegner gekippt. Ein Referendum, wie es Ministerpräsident Ehud Barak seinen Wählern versprach, hätte derzeit nicht die geringsten Aussichten auf Erfolg. Um Kompromisse zu machen, braucht Barak ein neues Mandat.

Kommentarvon SUSANNE KNAUL

Auch bei den Palästinensern haben die Unruhen tiefe Veränderungen gebracht: Jassir Arafat verlor, ebenso wie Barak, in den vergangenen drei Wochen an politischer Stärke und Autorität. Die tausenden Demonstranten signalisierten, dass sie auch künftig mitreden werden. Schon in den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob und wie weit sich Arafat noch durchzusetzen vermag.

Der Zorn über die vielen Toten schließt zudem aus, den längst überfälligen Prozess der öffentlichen Meinungsbildung aufzunehmen. Die Palästinenser müssen, um Kompromisse zu ermöglichen, darauf vorbereitet werden. Doch genau das Gegenteil passiert: Es wird wieder nur um alles oder nichts gestritten.

Dass der in Oslo aufgenommene Friedensprozess tot ist, wie es vor allem die Israelis in diesen Tagen gerne erklären, stimmt dennoch nur zum Teil. In Oslo wurde ein Rahmenplan entworfen zur physischen Trennung zweier Völker, die nicht miteinander leben können und wollen. Dieses Ziel besteht nach wie vor. Kein Israeli will die Besatzungsarmeen zurück in den düsteren Gaza-Streifen schicken, wo die Soldaten über Jahre einen sinnlosen Kampf gegen die frustrierte Bevölkerung ausgefochten hatten. Unterschiedlich mögen indes die Wege sein, die zu einer Trennung der Völker führen. Eine schnelle Einigung ist gefragt, die eine friedliche Koexistenz ermöglicht, ohne die empfindlichen Punkte zu berühren. Über Jerusalem und die Flüchtlinge werden andere Leute in anderen Zeiten verhandeln. Bis dahin gilt es, möglichst wenig Blut zu vergießen.

bildwelt SEITE 3, ausland SEITE 10

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