: tazniks beim Subbotnik
Warum der große Fußballverein Hertha BSC Berlin auf die dringende solidarische Hilfe einer kleinen Zeitung angewiesen ist. Und wie das alles funktionierte
vom Arbeitseinsatz im OlympiastadionBERND MÜLLENDER und MARKUS VÖLKER
Verbunden werden auch die Schwachen mächtig. (Friedrich Schiller)
Der Arbeitseinsatz der taz begann wie immer. Kollege Müllender bringt am Südtor des Berliner Olympiastadions einen schnittigen Zweizeiler zum Vortrag. „Zwei Apfelsinen im Jahr und zum Parteitag Bananen; wir rufen Hurrahurra, der Kommunismus ist da“, krächzt er den schwarzen Mercedes-Karossen entgegen, die im Konvoi die Profis von Fußballbundesligist Hertha BSC Berlin zum Training fahren. Daraufhin stimmt Kollege Völker wie gewohnt das Solidaritätslied, vertont von Hanns Eisler, an: „Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht! Vorwärts, nie vergessen, die Solidarität.“ Dann Stille. „Und die zweite Strophe, was ist damit? Haben wir die nicht auch beim Anschrauben der Basketballkörbe in der Max-Schmeling-Halle, beim Eisdienst im Wellblechpalast der Eisbären gesungen?“, fragt Müllender, „gehört das nicht zu einem echten Subbotnik?“
Das Wort Subbotnik aus dem Mund von Westler Müllender zu hören, war noch gewöhnungsbedürftig, hatte er sich doch erst vor kurzem über den Subbotnik informiert. Er wusste mittlerweile alles: Wie es anfing, wie es endete. Beim Crash-Kurs hatte sich Kollege Völker bitter der Vergangenheit erinnert und erzählt, dass der Samstag in Russland Subbota heißt und die Sozialutopisten das Volk auch am Wochenende ein bisschen unentgeltlich ausnutzen wollten und zu diesem Zweck den freiwilligen Arbeitseinsatz Subbotnik kreierten; erstmals am 10. Mai 1919, später auch in der DDR. Tragischer Höhepunkt war dort der Normterrorist Adolf Hennecke, der 1948 im Lausitzer Kohleschacht 387 Prozent vom Üblichen aus dem Berg schaffte und in der Folge von den Arbeitskollegen aufs Maul und von der DDR fette Orden bekam. Hennecke war der Alptraum jedes Wochenendes. Scharen von Zonis mussten am Samstag, wusste der Kollege Völker aus eigener Erfahrung zu berichten, Äpfel aufklauben, Kartoffeln stoppeln oder Straße fegen, während in der kapitalistischen Freizeitgesellschaft an der Verbesserung des Golf-Handicaps gearbeitet wurde oder einfach nur abgehangen.
Müllender hatte bös gegrinst. Völker versucht sich zu sammeln, schließlich geht es diesmal darum, die Segnungen des untergegangenen Sozialismus ins Heute zu transferieren. Sprich: solidarisch einem darbenden Fußballverein zu helfen. Der Hertha. Ein Klub, der ganz groß werden will, überall Beachtung finden möchte und unschlagbar werden soll. Ziele, die auch die taz längst transzendiert hat, also tritt die Redaktion der Leibesübungen zum Wissenstransfer bei den Kickern an. Und: Wir stellen unsere schiere Arbeitskraft zur Verfügung, um auch noch am Schliff des Stadions mitzutun – nach dem Motto des alten Kalle M.: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!
Nach Beistand schreit ein kleiner Mann. Er heißt Dariusz Wosz und guckt immer sehr traurig. Da er sich nicht streicheln oder trösten lässt, wollen wir ihm wenigstens die Schuhe schnüren. Geht nicht. Vielleicht weil Völker drauflos stürmt: „Mensch, Subbotnik, kennense doch noch von früher!?“ Kenne er, klar. Sagt aber: „Ich hab schlechte Erfahrungen gemacht. Das ist in dieser Gesellschaft so.“ Ja, Dariusz, scheiß Gesellschaft. Wosz fährt im Mercedes-Jeep davon. Marko Rehmer naht. Nationalspieler Rehmer. Groß sind die, die sich zum Wohle anderer klein machen. Wieder dient sich die taz an, die Warnungen des Hertha-Sprechers Hans-Georg Felder im Ohr: „Ich weiß nicht, ob die Spieler das mitmachen. Kann sein, dass sie treten.“ Zur Sicherheit: Helm auf. Funktioniert. Rehmer fragt noch leicht irritiert: „Und was soll das jetzt“, da verknotet sich die taz schon in den Senkeln. Als Sebastian Deisler den Kumpel so erblickt, befiehlt er die Arbeitskräfte zu sich, weil er die taz („Tageszeitung? Äh?“) wohl für das neue Service-Team von Hertha hielt. Zur Not: Wir bügeln und waschen auch, Sebastian. Souverän schreitet derweil Michael Preetz vorbei. Er grinst nur, als Spielergewerkschaftler kennt er sich in Solidaritätsdingen eben aus.
O Gott, das Stadion. Fast vergessen. Das muss ja auch noch eingerissen werden. Was die Firma Walter Bau treibt, ist, gelinde gesagt, langwierig. Geht doch nicht, dass Hertha bis 2004 immer auf gut 20.000 Plätze verzichtet. Da muss Zug rein. Müllender und Völker begeben sich in die Schüssel und trauen ihren Augen nicht: Der Rasen! Allmächtiger! Wann wurde der wohl zum letzten mal ventrikuliert bzw. pedikürt? Muss Spielzeiten her sein. Müllender springt sofort aufs Grün, mit einem Bauchrutscher, so wie es die Torschützen machen, fummelt eine Nagelschere heraus und schnippelt. Stunde um Stunde. Später gesellt sich Völker dazu. Alexander Görbing, Pressesprecher von Walter Bau und geneigter taz-Abonnent, prallt derweil mit Mathias Jürgen Mayer zusammen, Sicherheitsbeauftragter der Firma. Aufgeregte Debatten darüber, wie ein Helm auf der Baustelle zu tragen sei und dass der Polier Anfälle bekommen habe wegen der kritischen Sicherheitslage. Müllender macht sich flugs auf einem Schuttberg im M-Block zu schaffen und kabbelt sich mit dem Bagger um die schroffsten Steine. Völker kommt kaum nach. Er beginnt derweil, sich liebevoll um die 55.000 Sitzplätze zu kümmern, wienert Plastikschale um Plastikschale, bis Müllender, der sich längst zum O-Block durchgegraben hat, ruft: „Hey, Völker, find ich super den Hennecke, cooler Typ, warum hast du mir nicht früher von dem erzählt.“ Ja, warum? Aus Gründen der Solidarität vielleicht.
Noch gibt es viel zu tun für die taz. Am kommenden Samstag wartet ein Subbotnik in Bad Saarow auf uns. Golflöcher stechen. Wir kommen gern.
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