: „Ich bin in der Sprache“
Solidarität mit der Sprache des Feindes oder Die Loyalitäten der Assia Djebar: Sie schreibt auf Französisch, daheim spricht sie Arabisch. Morgen erhält sie in der Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
taz: Frau Djebar, bei der Friedenspreisverleihung ist Gelegenheit für Appelle an das Gewissen der Nation. Haben Sie eine Botschaft an die Deutschen?
Assia Djebar: Glauben Sie, dass es die Rolle eines Schriftstellers ist, eine Botschaft zu bringen? Ich schreibe!
Sie sind die erste Autorin aus dem Maghreb, die den Friedenspreis erhält. Was werden Sie über Ihr Land sagen?
Warum wollen Sie, dass der Schriftsteller gleichzeitig Politologe, Soziologe und Journalist ist? Ich habe kein Zauberrezept für mein Land. Als Schriftstellerin und vor allem als Algerierin im Ausland habe ich keine eigenen Eindrücke von der Realität. Wenn ich Italienerin wäre, würden Sie das nicht von mir erwarten.
Aber Sie schreiben über Algerien.
Nein. Ich schreibe nicht über Algerien. Ich schreibe nicht über Frauen. Ich schreibe. Punkt.
Sie sind aus Algerien, arbeiten an einer US-Uni. Warum leben Sie in Paris?
In Paris habe ich die nötige Distanz, um zu schreiben. Wenn ich in Algerien geblieben wäre, würde ich nur noch polemisieren. Für mich ist der Roman aber eine echte Suche in der Tiefe.
Als Algerierin haben Sie eine eigene Sprache. Warum schreiben Sie auf Französisch?
Bei mir ist das einfach. Ich bin in die koloniale Schule gegangen. Die war nur französisch. Bei anderen afrikanischen Autoren gibt es andere Gründe: Der Kongolese und der Zairer schreiben auf Französisch, weil es in ihren Ländern viele Sprachen gibt und Französisch so etwas wie Einheit erlaubt. Sie benutzen die Sprache des Kolonisatoren, um sich in ihrer neuen Identität zu bestärken.
Welche Sprache benutzen Sie privat?
Ich spreche Arabisch in meiner Familie. Aber wenn Sie autobiografisch schreiben, schreiben Sie in Ihrer intellektuellen Sprache. Und Sie fragen sich, ob Sie mit dieser Sprache des anderen, der der Feind war, ob Sie damit auch gefühlsmäßige Dinge erfassen können. Mein Verhältnis zur französischen Sprache ist ein Verhältnis zu Stimmen, die im Leben Arabisch und Berberisch sprechen und die es im Französischen nicht gibt.
Sehen Sie anderswo ähnlich komplizierte Sprachverhältnisse?
In Irland gegenüber Englisch. Oder bei den jüdischen Dichtern, die völlig in der deutschen Sprache sind. Das ist auch das Problem der Immigranten.
Haben Sie nie erwogen, auf Arabisch zu schreiben?
Doch. Und dann habe ich zehn Jahre lang nicht veröffentlichen können.
Wie sind Sie Autorin geworden?
Ich hatte das Glück, einen Vater zu haben, der sagte, als die anderen algerischen Mädchen aus der Schule genommen und auf die Ehe vorbereitet wurden: Meine Tochter macht weiter. Wenn ich nicht zur Schule gegangen wäre, hätte ich keine Beziehung zur Literatur bekommen. Das bedeutet nicht, dass die französische Kultur die einzige Alternative war. Ich hätte vielleicht Poesie singen gelernt. Aber ich wäre nicht Schriftstellerin geworden. Meine Kultur hatte da noch kein Statut für das Schreiben entwickelt. Schon gar nicht für Frauen.
Wie hat Ihre Umgebung reagiert?
Als ich 1957 meinen ersten Roman schrieb, gab es schon eine maghrebinische Literatur, die man der Literatur der Franzosen aus Nordafrika, inklusive Albert Camus, gegenüberstellt. Obwohl das eigentlich kein Gegensatz ist. Während 30 Jahren haben meine intellektuellen Landsleute gesagt: Das ist eine brillante Akademikerin, warum schreibt sie Romane? Die hielten das für zweitrangig. Oder sogar unanständig. Am Anfang gab es viel Frauenfeindlichkeit meiner Kollegen. Das heißt: Eine Frau, die schreibt, kann nur Liebesromane schreiben. Heute bin ich nicht mehr die einzige. Hinter mir gibt es rund 20 Frauen, die Romane schreiben.
Sie schreiben viel über Frauen. In „Oran Langue Morte“ ist sogar von einem „Volk der Frauen“ die Rede.
Der Begriff „Volk“ heißt einfach: viele Frauen. Die Hälfte der Gesellschaft.
Steckt dahinter nicht auch ein Unterschied zwischen Frauenleben im Maghreb und in Europa?
Sie wollen mich zur Exotin machen. Das stört mich. Ursprünglich wollte ich in Frankfurt von dieser Obsession des Tschador reden. Aber das habe ich verworfen. Heute sagt man: die muslimische Welt, das sind unterwürfige Frauen. Man vergisst, dass es im Orient Anfang des 20. Jahrhunderts Bewegungen für die Befreiung der Frauen gab.
In den 90ern haben Sie vor allem über Gewalt in Algerien geschrieben.
Im März 1994 ist der dritte meiner Freunde ermordet worden. Der mir nahestehendste. Damals hat mich auch Bosnien sehr berührt. Weil Exjugoslawien eng mit Algerien verbunden war, hatte ich das Gefühl, dass mein Land genauso zerstückelt werden würde. Ich war 20, als mein Land unabhängig wurde. Meine ganze Jugend war geprägt durch den Algerienkrieg. Meine einzige Antwort war, einen Roman zu schreiben.
War das ein Abschied?
Ich fragte mich am Anfang, was bleibt mir, wenn Algerien als Staat verschwindet? Das ist, als ob man Ihnen ankündigt, dass Sie noch zehn Tage zu leben haben: Sie ziehen Bilanz. Ich wollte verstehen, was in meinem Land passiert.
Schreiben Sie für ein bestimmtes Publikum?
Als Schriftsteller schreiben Sie für sich selbst. Es ist nicht das Problem des Publikums. Ich habe früh angefangen zu schreiben. Ich bin früh veröffentlicht worden. Ich kann nicht klagen. Ich habe 10- oder 15.000 Leser in Frankreich. Aber ich hätte gern 15.000 in Algerien.
Ein wiederkehrendes Thema ist das franco-algerische Verhältnis.
Nie war eine Kolonisierung so zerstörerisch wie in meinem Land. Die Franzosen sind immer noch überzeugt, dass sie Algerien gut kennen. Jeder Franzose hat sein Algerien. Und vielleicht ist das auf der anderen Seite genauso. Es gibt eine gegenseitige Durchdringung. Voller Widersprüche. Zugleich gibt es eine doppelte Faszination.
In Ihrem letzten Buch „Nächte in Straßburg“ beschreiben Sie zwei Liebespaare – ein franco-algerisches und ein deutsch-jüdisches. Warum gerade diese Konstellation?
In den Liebesnächten kommen Erinnerungen an die Kindheit. Die Algerierin fragt den französischen Liebhaber: Hast du am Algerienkrieg teilgenommen? Sie spürt, wenn er den Krieg mitgemacht hätte, könnte sie ihn nicht lieben.
Es gab in der Geschichte nichts Gewalttätigeres als die planmäßige Vernichtung der Juden.
Das stimmt für die Zeit von 1933 bis 1945. Aber in Algerien war das von 1830 bis 1871. Es gab ständig Kämpfe. Es gab nicht denselben wissenschaftlichen Willen zu vernichten. Aber es gab doch eine französische Absicht. Zwischen 1830 und 1871 ist die algerische Bevölkerung von ungefähr 3 Millionen auf unter 700.000 gesunken. Die letzten Algerier sollten in die Sahara kommen – wie die Indianer in Kanada. Algerien sollte eine Siedlungskolonie werden. Was uns gerettet hat, ist der Bauch der algerischen Frauen.
Werden Sie eines Tages in Ihr Land zurückgehen?
Ich weiß nicht. Warum fragen Sie?
Weil Sie in Paris „beim Feind“ leben.
Das ist kein schwieriges Exil. Ich bin in der Sprache. Das ist nicht wie in den USA. INTERVIEW: DOROTHEA HAHN
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