: Sesshaftigkeit ohne Halt
„So sind wir eben“: Die Zigeunerin Ceija Stojka versucht, den „Gadje“ Kultur und Geschichte der Roma nahezubringen. Ein Dokumentarfilm porträtiert das Leben der Malerin und Buchautorin
von ESTHER SLEVOGT
Nach der Filmpremiere stand die Protagonistin ihrem Publikum Rede und Antwort. Schließlich ging es im Film um nicht weniger als ihr Leben. Ein Leben, das sie gerettet hatte – trotz Auschwitz, wo ein großer Teil ihrer Familie umkam.
Im Film war viel von diesem Überleben die Rede. Auch von den Schwierigkeiten des Weiterlebens nach den Krieg. Viel erfuhr man auch von einem Volk, von dem sonst kaum einer etwas weiß. Am Ende wurde viel nachgefragt, unter anderem auch das: „Im Film ist immer von den ‚Gadje‘ die Rede. Wer ist denn das, ich meine, was für ein Volk?“ Und die Frau vorne lacht und streicht über das blond gefärbte Haar. „Die Gadje“, sagt sie, „das seid ihr, die Anderen. Die Nicht-Zigeuner eben.“
Ceija Stojka ist Zigeunerin und gegen diese Bezeichnung hat sie eigentlich nichts. Im Gegenteil: „Sinti und Roma, das ist ja auch bloß ein Name, und bei Namen kommt es immer darauf an, wie man sie ausspricht:“ Sie ist Sängerin, Buchautorin und Malerin – und wohl die einzige Romni, die sich kulturell betätigt, öffentlich über ihre Herkunft spricht und versucht, Kultur und Geschichte der Roma den „Gadje“ näher zu bringen. Besonders mit ihrer Malerei: schroff gestrichelte Zeichnungen und farbtrunkene Naturbilder, denen man die Autodidaktin kaum ansieht.
In langen Fahrten erkundet im Film die Kamera diese Bilder. Eine untergegangene Welt taucht dann noch einmal auf. Man diskriminierte die Zigeuner, während man gleichzeitig Operetten über sie schrieb, ermordete sie schließlich und schweigt sie auch heute noch tot: keine Lobby, kein Mahnmal. Da kommt plötzlich Bitterkeit in Ceija Stojkas Rede, als sie in Berlin mit dem Publikum über den Film spricht. Bitterkeit, dass alle immer nur vom Leid des jüdischen Volkes reden und nicht vom Leiden „unserer Leute“. Bitterkeit auch, dass nie von jemand jüdischer Seite Partei ergriff für die Schicksalsgenossen im Abseits.
Was ihr Outfit betrifft, weiß Ceija Stojka, was sie sich und den Leuten schuldig ist: ein wallendes, schwarzes Samtkleid, viel Schmuck und knallrot geschminkte Lippen. „So sind wir eben“, sagt sie. „Eine Romni will zeigen, dass sie hübsch ist, dass sie einen Chic hat.“ Und der „Gadje“ hasst die Zigeuner eben auch, weil die mehr Talent haben, das Leben zu genießen.
Unter den Armbändern ist die Nummer zu sehen, die ihr in Auschwitz in die Haut tätowiert wurde: Z 63 99. Ceija Stojka war zehn Jahre alt, als sie mit ihrer Familie 1943 dort ankam, zwölf, als sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester aus dem KZ befreit wurde. Sechzehn, als sie ihr erstes Kind bekommt. Sechsundvierzig, als ein Sohn an Drogen stirbt, und fünfundfünfzig, als ihr erstes Buch erscheint: „Wir leben im Verborgenen“, eine Autobiografie, in der es nicht nur um die Beschreibung einer Kindheit im KZ geht, sondern auch darum, das Schweigen zu durchbrechen, in dem die Zigeuner noch immer lebten.
An der Situation hat sich seitdem wenig verändert. Bloß, dass auch die Sesshaftigkeit Spuren hinterlassen hat. „Eine Hälfte von mir ist angepasst, auf der anderen bin ich eine Wilde“, sagt die Tochter im Film einmal, den die österreichische Journalistin Karin Berger im letzten Jahr über Ceija Stojka gedreht hat.
Doch mit der Sesshaftigkeit ging der Halt verloren, den Ceija Stojkas Generation in ihrer Kultur noch gefunden hat, und der ihr vielleicht die Stärke zum Überleben gab. Sohn Jano, ein begabter Schlagzeuger, hatte diesen Halt schon nicht mehr und starb an seiner Drogensucht. Auch davon erzählt dieser Film.
An seiner umstrittensten Stelle sieht Ceija Stojka ihre in Auschwitz ermordete Familie wieder: auf Fotos einer akribischen Datei eines Instituts, das Forschungen zur „Rassenhygiene“ anstellte. Karin Berger fand sie im Bundesarchiv, wo diese Dokumente des Nazi-Rassismus noch immer liegen. Ceija Stojka erkennt auf den Fotos sich selbst, Cousinen und Tanten, erkennt den jüngsten Bruder Ossi, der mit sieben Jahren in Auschwitz an Typhus starb.
Film: „Ceija Stojka. Porträt einer Romni.“ Ein Film von Karin Berger. Bücher: Ceija Stojka „Wir leben im Verborgenen“ und „Reisende auf dieser Welt“, beide Picus Verlag Wien
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