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„Wir erwarten Hilfe“

Der serbische Reformpolitiker Zoran Djindjić über Not, Demokratisierung und das Verhältnis zu Montenegro und Kosovo

taz: Nach dem Sturz von Slobodan Milošević befindet sich Serbien in einer turbulenten Übergangsperiode – welche Aufgaben haben zurzeit die höchste Priorität für Sie?

Zoran Djindjić: Zunächst müssen wir die Grundversorgung der Menschen gewährleisten. Damit meine ich zum einen die Grundnahrungsmittel und Medikamente, aber auch Strom, Heizöl und Benzin. Unsere eigenen Reserven sind lange verbraucht. Deshalb erwarten wir eine erste einmalige finanzielle Hilfe, aber auch erste Warenlieferungen schon innerhalb der nächsten 14 Tage.

Und weiter?

Der zweite Schritt sind tief greifende Reformen des politischen Systems, das heißt Säuberung von allen Mechanismen des Missbrauchs, Korruption und der Monopolbildung. Das ist unsere wichtigste innenpolitische Aufgabe. Die dritte Aufgabe sind langfristige Investitionen, vor allem in die Infrastruktur, Telekommunikation, Eisenbahnlinien und natürlich auch in grundsätzliche Systeme wie das Gesundheitswesen und die Bildung. Es wird Zeit, dass wieder Kapital in unser Land kommt und auch unsere Leute in ihr Land investieren, damit das wirtschaftliche Leben wieder auflebt.

Wie stellen Sie sich den Ablauf dieser Veränderungen vor?

Dieses Programm wird etwa drei Jahre brauchen, und es ist in drei Phasen unterteilt. Die erste Phase umfasst die unmittelbare Hilfe bis zum nächsten Frühling, danach folgt die Phase der politischen Reformen, die nach den Wahlen im Dezember beginnen und bis zum Ende des nächsten Jahres dauern müsste, und erst dann könnte man mit den Projekten für langfristige Investitionen beginnen. Hier erwarten wir ganz klar Hilfe von den internationalen Organisationen wie der Weltbank, der EU und dem Balkan-Stabilitätspakt. Die versprochenen 3 bis 4 Milliarden Mark sollten vorrangig in die Infrastruktur Serbiens investiert werden, weil die nicht nur für unsere Bevölkerung wichtig ist, sondern ebenso für die Anbindung Griechenlands und der Türkei an Europa.

Was wollen Sie zur Stabilisierung der Verhältnisse innerhalb der jugoslawischen Föderation tun? Wie stehen die Beziehungen zur montenegrinischen Regierung?

Am wichtigsten ist uns, mit der herrschenden demokratischen Koalition in Montenegro gute politische und freundschaftliche Beziehungen zu bewahren, damit es nicht zu einer unnötigen Abkühlung kommt. Die Bedingung für einen stabilen gemeinsamen Staat ist nach unserer Ansicht, dass die beiden Teilrepubliken ein Höchstmaß an politischer Autonomie bekommen.

Das heißt?

Die Republiken regeln ihre Belange selbstständig, und nur um die übergeordneten Dinge wie die Verteidigung, die Außenpolitik und die Finanzpolitik würden wir uns auch in Zukunft gemeinsam kümmern. Dabei erwarten wir Verständnis vom montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanović dafür, dass wir uns entschlossen haben, die Sozialistische Partei von Predrag Bulatović an der Bundesregierung zu beteiligen, und auf der anderen Seite muss Bulatović akzeptieren, dass wir unsere guten politischen Kontakte zu Djukanović bewahren wollen. Wir müssen anfangen, uns wie europäische Politiker zu benehmen, und das heißt, Kompromisse einzugehen.

Auf welche Weise sollte die internationale Gemeinschaft Ihrer Meinung nach die neue serbische Regierung in den Aufbau eines multiethnischen Kosovo einbinden?

Zuerst einmal müsste sie den geflüchteten Serben helfen, in das Kosovo zurückzukehren. Dann müssten bessere Sicherheitsbedingungen für die Serben dort geschaffen werden. Mir scheint, dass die internationale Gemeinschaft noch kein klares Konzept hat, wie sie das Sicherheitsproblem lösen will. Aber wenn die internationale Gemeinschaft wirklich hinter den Demokraten in Serbien steht, dann wird sie Verständnis dafür aufbringen müssen, dass wir innerhalb der nächsten Monate wieder eigene serbische Institutionen in den Teilen Kosovos errichten möchten, wo es noch serbische Einwohner gibt. Am Entgegenkommen der internationalen Organisationen können wir nicht nur unseren Erfolg messen, sondern auch deren guten Willen, denn ein multiethnisches Kosovo ist auch unser Ziel.

Was stellen Sie sich hier als erste Schritte vor?

Vertreter der internationalen Gemeinschaft haben meinem Vorschlag zugestimmt, eine bestimmte Zahl Polizisten in serbische besiedelten Orten einzusetzen. Ich sehe keinen Grund, warum in Kosovska Mitrovica keine serbischen Polizisten sein sollten. Die Gespräche darüber sollen demnächst fortgesetzt werden.

Glauben Sie, dass die Staatengemeinschaft ihre finanziellen Hilfsversprechen zügig umsetzt?

Am meisten erwarte ich persönlich von Deutschland. Wir wissen aus zahlreichen anderen Erfahrungen – wenn Deutschland etwas verspricht, dann hält es das auch. Ich versuche, auch private Investoren zu finden, doch das ist eine etwas langfristigere Sache. Für Serbien ist nicht nur die finanzielle Hilfe der deutschen Regierungsinstitutionen wichtig, sondern auch Investitionen hochrangiger deutscher Firmen wie Siemens, Daimler oder Opel. Sie sollten sich vor Ort ein eigenes Bild über die Lage in Serbien machen. Ich denke, viele von ihnen wären positiv überrascht über die hohe Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei den Menschen in Kikinda, Smederevo oder anderen Städten, in denen es schon früher viele deutsche Fabriken gab. Denn der negative Trend gegenüber den westlichen Staaten, der hier jahrelang geherrscht hat, kam nicht von den Menschen, sondern von der Politik des alten Regimes.

INTERVIEW: JASMINA NJARADI

Übersetzung: Melinda Biolchini

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