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Schrei der Sprachlosen

Weibliches Aufbegehren gegen das Eingesperrtsein: Die Algerierin Assia Djebar ill durch Spurensuche Identität stiften  ■ Von Petra Schellen

Ganz weit hinten, ganz tief unten: Da, wo die Sprache noch Klang ist, wo sich Laute zu gesungenen Tönen ballen, setzt die algerische Autorin Assia Djebar an. Denn Berberisch-Lybisch ist ihre eigentliche Muttersprache – ein Idiom, das nie verschriftlicht wurde und doch etliche Erinnerungen birgt. „Ich möchte den arabischen Frauen ihre Stimme wiedergeben“, sagt die in Cherchell, einer Küstenstadt bei Algier geborene, inzwischen in Louisiana lehrende Autorin, die den diesjährigen Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekam.

Etliche Vorwürfe sind Djebar, die als erste Algerierin die französische Ecole Nationale Supérieure besuchte, von Landsleuten gemacht worden – nicht nur wegen der erotischen Passagen schon ihres Debütromans Der Durst, sondern auch, weil sie ihre Werke, darunter die Romane Fantasia, Die Frauen von Algier und Die Schattenkönigin auf Französisch schreibt.

Dabei ist es ambivalent, ihr Verhältnis zur Sprache der Kolonisatoren, die einerseits einen respektvolleren Umgang mit Frauen in Djebars Familie trug, andererseits aber sehr lange Feindessprache blieb. Dieser Zwiespalt durchzieht auch ihre Autobiografie Fantasia, die – in Form zweier in strengem Wechsel gegeneinander gestellter Gesänge – die Kindheit des ersten nicht mehr eingesperrten Mädchens der Familie und die französische Besetzung Algiers beschreibt. Nur selten werden diese beiden kontrapunktischen Themen modulationsartig um schemenhafte Kindheitserinnerungen erweitert.

Ein Stück Menschheitsgeschichte – die der algerischen Frauen – formuliert Djebar in ihren Romanen; das mündlich überlieferte Wort ist auch Thema der Schattenkönigin, und fast scheint es, als sei Befreiung aus dem Käfig Haus, den auch die Frauen von Algier bewohnen, allein durch das geschriebene Wort möglich. Sprachlose Frauen züchtet die arabische Gesellschaft, die Djebar beschreibt, sprach- und identitätslose Körper auch, was sich manifestiert anhand der Tatsache, dass jedes Mädchen, das zu pubertieren beginnt, sofort im Harem verschwindet.

Einzig die Großmütter dürfen schreien, und wenn sie im Halbschatten Geschichten aus der Vergangenheit erzählen, hat das sonst beengende Haus die Chance, zur heimeligen Höhle zu werden, zum Hort von Geschichten, die aus der Vergangenheit wachgerufen und weitergegeben werden können. Aber solange sie nicht schreiben (können), werden Frauen diese weibliche Genealogie nicht festhalten können, werden immer auf individuelle Übermittlung angewiesen sein und niemals einen konsensfähigen allgemeinen Geschichts-Fundus zur Verfügung haben, aufgrund dessen sie ihre Identität und ihren Standort in der Gesellschaft definieren können.

Sachlich und ohne Selbstmitleid berichtet Djebar von Partisanenkämpfen, von Folter und Verhören der Franzosen, denen die Araber die Waffe Schweigen entgegensetzten. Auch Djebar hat geschwiegen, hat aus Solidarität mit den streikenden algerischen Studenten 1956 ihr Studium unterbrochen, hat die Verstecke ihres ersten Mannes, eines Widerstandskämpfers, verschwiegen, hat sich aus Zweifel an der politischen algerischen Entwicklung in den Siebzigern nicht zu Wort gemeldet, setzt auch bis heute nicht ihren eigentlich Namen Fatima-Zohra Imalayène unter ihre Texte. Doch all dies ist bewusst gewählte Stummheit, die nichts gemeinsam hat mit dem Schweigen der Mehrzahl der arabischen Frauen, die ja nicht einmal gesehen werden dürfen und in der Öffentlichkeit allenfalls als entschwindende Schatten erwünscht sind.

Kompliziert ineinander verwobene Erinnerungen präsentiert Assia Djebar, etliche Bewusstseinsschichten sind in ihren Texten in- und übereinander gelagert, zumal sie nicht nur als Araberin (gegenüber den Franzosen), sondern auch als Frau (gegenüber ihren Landsleuten) Abgrenzung vollzog, schlichte Schwarzweiß-Kategorien also einfach nicht greifen.

Ambivalent mischen sich Dankbarkeit für die Freiheit, die ihr die französische Kultur und Sprache brachten, und Aversion gegen die Sprache des Eroberers ineinander, immer wieder finden sich Erklärungen und Rechtfertigungen dafür, dass sie französisch schreibt, in ihren Büchern, immer wieder bemüht sie sich, ihre verschlungene Beziehung zur Sprache der Kolonisatoren zu erklären, mit der sie sich erst spät versöhnen konnte.

Immer wieder sucht Assia Djebar auch die Empfindungen einzukreisen, die sich mit Lauten – des berberisch-lybischen Kindheits-Dialekts und der französischen Sprache, die verschiedene Nuancen von Stolz und Vertrautheit bedeuten – verbinden. Und allmählich gewinnt man den Eindruck, dass Sprache für sie etwas unmittelbar Emotionales ist, dass die Laute und Worte auch ihren Körper unterschiedlich anrühren, dass – trotz aller Kritik an der arabischen Gesellschaft – das Idiom der Kindheit sich in intensiveren Bildern mitteilt als das aufgesetzte Französisch, in dem sie Worte für Dinge lernte, die sie erst viele Jahre später in Europa kennenlernte. Detail für Detail setzt sie die Antipoden gegeneinander, sucht Schritt für Schritt den Abstand zwischen ihren beiden Daseinsformen – der Herkunft und der Exiliertenexistenz – zu vermindern, als könnte Djebar ihre Fremdheit dadurch überwinden, dass sie ihre widersprüchlichen Empfindungen formuliert.

Lesung Freitag, 19 Uhr, Katholische Akademie, Herrengraben 4

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