: Heidschnuckendichtung
■ Widersprüchlichkeit des NS ignoriert: Ein Dokumentarfilm
Ihre größten Triumphe feierte die Schriftstellerin Erna Weißenborn in den 20er bis 40er Jahren. Mit ländlichen Dramen und Heimatromanen begeisterte sie das damalige Publikum: Der rote Husar, der die enge Welt eines Bauernhofes (und eine Frau) durcheinanderbringt, wurde ein ebenso großer Erfolg wie Linna Nordmann, jenes Drama einer verheirateten Krämerin, die sich in einen Reisenden verliebt. Der Roman Die Mausefalle, in dem ein Mädchen mit dem Teufel paktiert, wurde sogar von der Ufa verfilmt.
Bodenständige Frauen vom Land stehen im Zentrum der Texte, die von der nationalsozialistischen Zensur dennoch skeptisch beäugt wurden. So bekannte Leute wie der Verleger Peter Suhrkamp oder Heinz Hilpert, der Direktor des Berliner Schauspielhauses, setzten sich dafür ein, dass Weißenborns Stücke trotzdem aufgeführt wurden. Dass das nicht immer einfach war, belegt die Korrespondenz, die die 1898 geborene Schrifstellerin mit ihren Förderern und der Reichsschrifttumskammer führte. Einige Dramen wurden von den Nazis verboten, doch eine politische Schriftstellerin war Weißenborn deshalb nicht: Im fernen Heide erlebte sie den Krieg nur am Rande und kümmerte sich wenig um die politischen Verhältnisse. Als persönliche Kränkung empfand sie es gar, wenn ihre Stücke der politischen Zensur unterlagen. Nach dem Krieg geriet sie in Vergessenheit und wurde erst kürzlich von Heimatforschern wiederentdeckt.
Der Dokumentarfilm von Martina Fluck zeichnet den Lebensweg der Dramatikerin nach, die als zehnjähriges Mädchen nach Heide kam und hier bis zu ihrem Tod lebte. Die Sicht der Schriftstellerin steht im Vordergrund, wenn lange Passagen ihrer Autobiografie zitiert werden. Zeitzeugen erinnern sich an die kleine Frau, die durch ihre schicken Hüte, die extravagante Kleidung und den ungewöhnlichen Lebensstil auffiel: Anstatt zu putzen und das Mittagessen für die Familie herzurichten, widmete sie sich lieber der Schreibtischarbeit und überließ das Kochen ihrer Tochter Gudrun, die bis zum Tod der Eltern deren Haushalt führte.
Über die Literatur und darüber, warum sie teils unter Zensur fiel, erfährt man wenig. Zwar werden reichlich Textauszüge vorgelesen, auf eine Einordnung oder Bewertung wird aber verzichtet. Die Texte sprechen unkommentiert für sich selbst und werden von nachgestellten Szenen und abgegriffenen Stimmungsbildern begleitet: So blickt man während der Lesung des ohnehin schon pathetischen Romans Der Rote Husar auf Sonnenuntergänge und brennendes Feuer. Die Linna Nordmann lässt Fluck gar von der Theatergruppe der örtlichen Volkshochschule in historischen Kostümen aufführen.
Die Kleinstadt und ihre Menschen liegen der Regisseurin besonders am Herzen: Von Akkordeonklängen begleitet, lernen wir das heutige Heide kennen und erfahren, wie gern der Wiederentdecker Weißenborns in der Eider schwimmt. Für einen Ditmarscher Heimatfilm mag das interessant sein, eine Dokumentation über Erna Weißenborn hätte um einiges informativer ausfallen dürfen.
Kerstin Wiese
heute, 21.15 Uhr, Metropolis, die Regisseurin ist anwesend
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