zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Bogenschützen

Kerbnase und Brustpanzer

Der Homo attilensis, im Volksmund Bogenschütze, stammt in gerader Linie von den Hunnen und den Indianern ab, zeichnet sich jedoch durch einen erheblich geringeren Aktionsradius aus. Anstatt vom Rücken eines Pferdes baumelnd und unter dessen Bauch hindurch seine Pfeile in alle denkbaren Himmelsrichtungen und Feinde zu entsenden, steht er stocksteif in der Landschaft, als würde er für ein Winnetou-Denkmal posieren.

Versonnen späht er in die Ferne, wo 90 Meter weiter weg ein kleines Scheibchen steht, und wirkt, als würde er angestrengt darüber nachdenken, was er wohl am Nachmittag machen soll. So würde er vermutlich noch am Nachmittag da stehen, hätten gnädige Kampfrichter nicht die Shot Clock erfunden, die ihn zwingt, ab und zu doch mal ein Schüsslein zu wagen. Dann zupft er mit der Hast eines sedierten südamerikanischen Faultieres mit zwei Buchstaben einen Pfeil aus dem seitlich umgehängten Köcher und spannt betulich sein voluminöses Sportgerät, für dessen equestrischen Transport er mindestens einen Ackergaul bräuchte. Schließlich geruht er, einen seiner gefiederten Freunde gen Zielscheibe schwirren zu lassen. Das Publikum, sofern vorhanden und noch wach, quittiert die heroische Anstrengung mit einem erfreuten „Aaah“, sei es, weil das fliegende Sportgerät sein Ziel getroffen hat, sei es, weil wenigstens dieser Teil der Prozedur endlich überstanden ist.

Das alles klingt umständlich und ist es auch. Würde der Homo attilensis contemporaneus seinem hunnischen Vorfahren begegnen, fände er sich in den ewigen Jagdgründen wieder, bevor er auch nur eine einzige der komplizierten Vorrichtungen an seinem Bogen einigermaßen korrekt justiert hätte. Doch der Bogenschütze von heute trachtet ja nicht nach Leben, sondern nach der Zehn, und das ist gut so.

Zu erkennen ist der Homo attilensis auch ohne Pfeil und Bogen an der tiefen Kerbe, die sich seiner Nasenspitze unauslöschlich eingeprägt hat. In seiner weiblichen Form kann man ihn, seit die anatomisch-amazonische Variante der ungehinderten Sehnenspannung aus der Mode gekommen ist (Homo penthesilea), auch am einseitigen Brustpanzer identifizieren. In freier Wildbahn ist der homo attilensis aber nur noch selten zu beobachten, es sei denn, er lebt in Nordamerika und heißt Ted Nugent. Dann streift er, wenn er nicht gerade Gitarrensaiten beleidigt, bogenbewehrt durch die Wälder und meuchelt unschuldiges Wild, wofür er von veganischen Kollegen gemieden wird wie der Sherwood Forest von Prinz John. In Europa ist eine derartige Seitenline des Homo attilensis nicht anzutreffen, auch wenn die Vorstellung etwa eines Peter Maffay, der köcherbewehrt durch die Täler des Harzes stapft und Kleinwild nachstellt, durchaus etwas Apartes birgt.

In manchen Breiten erfreut sich das Metier des Homo attilensis einer solchen Beliebtheit, dass sogar leibhaftige Hollywood-Stars wie Geena Davis gelegentlich zur Sehne schreiten und sich fast für Olympia qualifizieren. Ein Beispiel, welches beweist, dass man das Bogenschießen heutzutage auch erfolgreich ausüben kann, wenn man es nicht seit frühester Jugend beherrscht. Das war bei den Hunnen noch anders.

Große historische Berühmtheit hat vor allem eine europäische Abart des gemeinen Bogenschützen erlangt: der englische Homo merrymensis, gelegentlich auch grüner Bogenschütze (Homo kinski) genannt, von dessen herausragendem Protagonisten sogar ein spezieller Schuss seinen Namen hat: „The Robin Hood“, bei dem ein im Bull’s Eye befindlicher Pfeil von einem weiteren gespalten wird, was sogar in Korea, aktuelle Brutstätte pfeilgerader Unfehlbarkeit, überaus selten vorkommt.

Die ohne Zweifel sympathischste Variante des Homo attilensis hat ihren Lebensraum in Bhutan. Dort wird, sobald ein Pfeil im Ziel sitzt, erst mal kräftig gefeiert, eine alte Tradition, die einstmals schon Attilas Mannen vor Rom um die Früchte ihrer langjährigen Trainingsarbeit brachte.

Wissenschaftliche Mitarbeit:
MATTI LIESKE

Fotohinweis: Holger Hirsch-Wurz, 71, ist ordentlicher Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen.