: Der Präsident hat immer Recht
Alles sollte besser, sauberer und gerechter werden. Doch nach zehn Monaten im Amt tapst Argentiniens Präsident Fernando De la Rúa von einer Krise zur nächsten – nicht jedoch ohne zu versichern, dass sein Kurs selbstverständlich der einzig richtige ist
aus Buenos Aires INGO MALCHER
Es ist kein besonders aufregender Termin mehr für die Kapelle der argentinischen Ehrengarde, wenn sie zum Amtsantritt eines Ministers oder Staatssekretärs die Nationalhymne spielen muss. Im vergangenen Monat mussten sie beinahe jede Woche antreten. Auch Präsident Fernando De la Rúa beherrscht das Protokoll mittlerweile im Schlaf. Er legt dem Neuen die Hand auf die Verfassung, der raunt: „So wahr mir Gott helfe“,und es ist geschafft. Willkommen im Club.
De la Rúa laufen seine Leute weg, ständig muss er neue bringen. Der Letzte, der ihn verließ, war vergangene Woche sein enger Freund Fernando Santibañes, Chef des Geheimdienstes, der mit einem Korruptionsskandal in Verbindung gebracht wird. Mit dem Rücktritt von Santibañes würde De La Rúa die politische Krise gern für beendet erklären. Doch über Personalentscheidungen wird das nicht zu regeln sein.
Zehn Monate nach dem Amtsantritt von De la Rúa fühlen sich nicht wenige seiner Wähler verraten, mindestens aber sind sie enttäuscht. Nach zehn Jahren Korruption und Klientelismus unter Präsident Carlos Menem hatte De la Rúa den politischen Neustart versprochen.
Zu sehen ist davon bislang wenig. Die Arbeitslosigkeit ist auf 15,4 Prozent gestiegen, die Löhne der Mittelklasse sinken weiter. De la Rúa peitschte neoliberale Reformen durch, wie sie ein Vorgänger Menem nicht machen konnte. So beschloss er, das Monopol für die Sozialversicherung aus der Hand der Gewerkschaften zu nehmen und private Anbieter zuzulassen. Damit dreht er der mächtigen argentischen Gewerkschaftsbewegung den Geldhahn zu.
Spätestens mit der Affäre um die Schmiergeldzahlung an peronistische Senatoren hat De la Rúa seinen Kredit verspielt. Zwar ist nichts bewiesen – doch niemand in Argentinien zweifelt daran, dass den Senatoren 50.000 Dollar tatsächlich pro Nase zugesteckt wurden, damit sie dem Gesetz zur Arbeitsreform zustimmen.
Und keiner glaubt, dass jemals die Geber oder Empfänger mit Namen genannt werden. Aus Empörung darüber verließ De la Rúas wichtigster Mann, Vizepräsident Carlos „Chacho“ Alvarez, das sinkenden Schiff.
Seither irrt De la Rúa durch die argentinische Politik. So machte er seinen Bruder zum Justizminister – obwohl er bei Regierungsantritt ein Papier an seine Minister und Staatssekretäre verteilte, auf dem die goldenen Verhaltensregeln der neuen Regierung stehen. In einem Punkt heißt es, dass die Minister keine Freunde oder Familienangehörige anstellen sollen. De la Rúa hat sich an beides nicht gehalten. Aus seiner Familie haben jetzt sein Schwager, sein Sohn und sein Bruder Ämter inne.
Das muss noch lange nicht heißen, dass De la Rúa die Amtsgeschäfte schlecht führt. Aber es kommt schlecht an und erinnert an Menems Vetternwirtschaft. Und so fühlen sich viele Argentinier in ihrem Vorurteil bestätigt, dass all Politiker Diebe, Lügner und Banditen seien.
De la Rúa lässt keine Kritik gelten: „Mein Bruder ist Justizminister, weil er ein ausgezeichneter Jurist ist, das stellt niemand in Frage“, sagt er. De la Rúa hat keine Zweifel, er diskutiert nicht, er ist eine autoritäre Vaterfigur, die immer Recht hat. Ein Satz, den er immer wieder herunterbetet, lautet: „Die Entscheidungen fällt der Präsident.“
Sicher, De la Rúa hat von Menem kein leichtes Erbe übernommen. In zehn Jahren hat Menem den Schuldenberg verdoppelt und die Institutionen verrotten lassen. Die orthodoxe Währungspolitik, der argentinische Peso ist im Wechsel eins zu eins an den Dollar gekoppelt, hat dem Land eine schlimme Rezession beschert. Doch auch De la Rúa gelingt es nicht, Investitionen ins Land zu locken.
Wenigstens politisch könnte er durchaus Zeichen setzen. Eine Justizreform wäre dringend nötig, eine Dritte Gewalt existiert in Argentinien praktisch nicht. Doch auch das geht der Rechtsanwalt De la Rúa nicht an. Der politische Neustart ist misslungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen