: AWO: Armut macht dumm
Jedes siebte Kind in Deutschland wächst in armen Familien auf. Dies zeigt eine Studie der Arbeiterwohlfahrt. Daher haben die Kinder auch Nachteile bei Ausbildung und Gesundheit
BERLIN taz ■ Jedes siebte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Das bedeutet für die zwei Millionen Betroffenen nicht nur Geldknappheit – sie haben im Schnitt auch schlechtere Bildungschancen und weniger soziale Kontakte als ihre Altersgenossen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Arbeiterwohlfahrt, die als erste wissenschaftliche Arbeit nicht nur Zahlen zusammenfasst, sondern konkret die Lebenssituation der Kinder beschreibt.
Das Frankfurter Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik untersuchte in mehr als 2.700 AWO-Einrichtungen der Jugend- und Familienhilfe die Lebenssituation der betreuten Kinder. Schwerpunkt waren Kindertagesstätten. In der Sozialforschung gilt nach einer EU-Definition derjenige als arm, der mit weniger als der Hälfte des durchschnittlichen Einkommens auskommen muss. Bei einer vierköpfigen Familie bedeutet dies weniger als 3.000 Mark verfügbares Einkommen im Monat. 8,6 Prozent der Kinder unter sieben Jahre bekommen Sozialhilfe – siebenmal so viel wie im Bevölkerungsdurchschnitt.
Bereits im Vorschulalter ist jedes dritte Kind aus „armen“ Haushalten in zentralen Lebensbereichen benachteiligt, stellt die Studie fest. Nur 70 Prozent von ihnen werden mit sechs Jahren eingeschult (Nichtarme: 88 Prozent). 31 Prozent der armen Kinder hätten gesundheitliche Probleme, aber nur ein Fünftel der besser gestellten. 38 Prozent der armen Kinder sind in ihrem Spiel- und Sprachverhalten gestört. Gerda Holzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Frankfurter Instituts: „Neben dem Erwachsenwerden haben sie die Armutssituation zu bewältigen.“
Kinder von allein Erziehenden und Migranten sind laut der Untersuchung überdurchschnittlich von Armut betroffen. 60 Prozent der armen Kinder leben jedoch in vollständigen Familien. Armut bei Kindern sei nicht nur ein Problem sozialer Brennpunkte in Großstädten. Zwei Drittel der betroffenen Kinder lebten in besser gestellten Regionen, auch auf dem Land.
Statt Betreuungseinrichtungen zu schließen, müssten die Kommunen mehr Personal einstellen, forderte der AWO-Bundesvorsitzende Manfred Ragati angesichts der Studienergebnisse. Die Arbeiterwohlfahrt plant, ihre Mitarbeiter besser für den Umgang mit Kinderarmut zu qualifizieren.
Von der Bundesregierung verlangte Ragati, das Kindergeld auf 600 Mark aufzustocken. Auch das Wohngeld solle erhöht werden, um die Situation einkommensschwacher Familien zu verbessern. FIETE STEGERS
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