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Reden als beste Therapie

Auch anlässlich des Ausscheidens von Bayer Leverkusen aus der Champions League trotz eines 1:0 gegen Spartak Moskau versiegt Manager Reiner Calmund der gewohnte Sprachfluss nicht

aus Leverkusen KATRIN WEBER-KLÜVER

Früher war alles schöner und viel, viel übersichtlicher. Da hat Reiner Calmund immer nur über Fußball geredet. Stundenlang, in endlosen Schleifen. Besonders nach Champions-League-Spielen dozierte er genussvoll über die Spielkultur der Leverkusener Mannschaft, darüber, wie prächtig die Elf nun schon mithalten könne international, ab und an auch über ein wenig Mangel an „Kaltschnäuzigkeit“, der noch den Unterschied mache zur absoluten Spitze.

Vor fast genau einem Jahr aber musste er sich sehr ärgern. Von „Horror“ sprach er und sein Trainer empfand „tiefe Enttäuschung und Leere“. Der Trainer hieß Christoph Daum und Bayer war durch ein torloses Remis gegen Maribor spektakulär aus der Champions League geflogen. Trotzdem: Wenn man weiß, was später passierte, waren es schöne Zeiten in Leverkusen, vielleicht schon damals nicht unschuldig, aber doch unbeschwert. Sie hatten den großen Vorteil, dass es nur um eines ging: Fußball. Fußball. Fußball.

Am Mittwoch ist Bayer Leverkusen trotz eines 1:0-Sieges über Spartak Moskau erneut vorzeitig aus dem bestdotierten Wettbewerb der Uefa ausgeschieden. Aber interessiert hat das nur am Rande. Erstens war damit zu rechnen gewesen und zweitens hat sich Leverkusen in diesen Tagen eher anderen Ressorts zugewandt. Es geht um Vereins- und Verbandspolitik, um Klatsch und Tratsch an der Drogenfront und um Indiskretionen in Trainerdebatten.

Also redete Reiner Calmund an diesem Abend wenig über Fußball und viel über alles andere. Eigentlich hatte er sich selbst eine Wortdiät verordnet. Aber so wie die Dinge stehen, ist reden, reden, reden vielleicht die beste Therapie. Um nicht Dinge in sich hineinzufressen. Oder auch um sich durch ständiges Wiederholen der Überzeugungen zu vergewissern, die für das eigene Seelenheil und die berufliche Zukunft wichtig sind.

Reiner Calmund hat in wenigen Tagen eine fast virtuose Routine entwickelt, die Frage zu beantworten, wie es sein könne, dass er von Daums Drogenproblem nichts gewusst habe. Er breitet dramatisch aus, wie ihm Mediziner erklärt hätten, Kokainkonsum führe dazu, dass einer „klar denken kann, wacher und fleißiger“ sei, also etwas, was eher positiv als negativ auffällt.

Er erzählt flammend, dass er bei Gerhard Mayer-Vorfelder, Dieter Hoeneß und Michael Meier, dreien, die in Stuttgart und Köln jahrelang mit Christoph Daum zusammengearbeitet haben, nachgefragt und keine Hinweise auf Drogenkonsum erhalten habe. Er sagt beschwörend, er habe sich in den letzten Wochen auch bei Vereinsmedizinern erkundigt und nur erfahren: „Da ist nichts.“ Und dann gerät er fast in Verzweiflung, weil die „guten Freunde von mir“, bei denen er Christoph Daum untergebracht hat, ihm sagen, Daum mache einen so aufgeräumten Eindruck, dass sie sicher seien, „der ist clean“. Tja, was soll man da noch glauben? Und was tun?

Am besten erstmal das Thema wechseln. Es gibt ja auch noch die große Trainerdebatte. Leverkusen habe „drei Möglichkeiten“ entwickelt, sagte Calmund, allesamt Rudi Völler inklusive. Die Kandidaten für einen Platz an Völlers Seite sind – von Bayer weder bestätigt noch dementiert – Berti Vogts, Klaus Toppmöller und Michael Skibbe.

Völler selbst betont zwar immer wieder, er „hänge sehr stark an diesem Club“. Aber wenn er sagt, wie gut er dort aufgehoben sei, steht hinter all der Freundlichkeit doch nur das große Aber. Am Dienstag hat er es ausgesprochen: „Ich mache keinen Hehl daraus, dass mir die Aufgabe mit der Nationalmannschaft Spaß macht und ich mir das auch vorstellen könnte.“

Calmund jedoch beharrt darauf, „von der Geschäftsführung von Bayer 04 Leverkusen gibt es keine Freigabe“ aus dem bis 2003 laufenden Vertrag. Und besonders bringt ihn der so genannte „Geheimplan“ des DFB in Rage, der vermutlich schon nicht mehr geheim war, als er seinen Namen bekam. Calmund wetterte: „Ich kenne den Plan nicht, aber wenn der sagt, bis 2002 Rudi Völler und dann kommt Ottmar Hitzfeld – dann sage ich: Fleißig drucken.“

Vielleicht hätte Calmund gar nichts gegen dieses Modell. Vielleicht möchte er nur nicht, dass die Dinge schon wieder seinem Einfluss entgleiten. Das tun sie seit Wochen und Monaten. Für einen Manager, der sich auf dem Weg in die internationale Spitze wähnte, kann das kein gutes Gefühl sein.

Leverkusen: Matysek - Zivkovic, Nowotny, Hoffmann - Reeb Ramelow, Ballack (75. Brdaric), Ze Roberto (81. Vranjes) - Neuville, Kirsten, Rink (46. Ojigwe) Spartak Moskau: Filimonow - Tchujse, Parfionow, Ananko, Kowtun - Baranow, Bulatow, Titow, Besrodny - Marcao (58. Kalinitschenko), Robson

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