piwik no script img

Goldenei

Neue ökonomische Politik: Die biotechnologische Tierproduktion wird im 21. Jahrhundert eine neue Form von Landwirtschaft hervorbringen und der Pharmawirtschaft Milliardenumsätze bescheren

von STEFAN MATYSIAK

Seit den rasanten Fortschritten in der Biotechnologie sehen die modernen Forschungslabors ein neues Potential in landwirtschaftlichen Nutztieren: Das liebe Vieh soll medizinisch verwertbar gemacht werden. Kuh, Schaf oder Ziege sind in das Blickfeld der GentechnikerInnen geraten, weil sie im Euter große Mengen an Eiweißen produzieren. WissenschaftlerInnen in aller Welt arbeiten nun daran, dass die Tiereuter nicht nur Milcheiweiß, sondern auch menschliche Proteine erzeugen, die dann als Grundlage für Medikamente oder neue Werkstoffe dienen. Indem den Tieren gentechnisch ein fremdes Gen hinzugefügt wird, soll aus einem einfachen Euter ein Bioreaktor für medizinische Präparate werden. „Gene Pharming“ nennt sich diese moderne Variante der guten alten Landwirtschaft.

Bislang müssen viele Medikamente noch aufwendig mit Zellkulturen und riesigen Fermentern hergestellt werden. Eine biotechnologische Erzeugung mit dem so genannten transgenen Milchvieh soll unkomplizierter und kostengünstiger sein, hofft die Branche. Zukünftig könnten die Wirkstoffe einfach abgemolken werden.

Angesichts solcher Aussichten läuft die Forschung auf Hochtouren. So wird derzeit an Kühen gebastelt, die den Eiweiß- und Blutersatzstoff Serumalbumin oder Medikamente gegen Multiple Sklerose erzeugen. Aus der Milch von transgenen Ziegen gewinnt die US-Firma Genzyme Transgenic Corp. ein Präparat, das kurz vor der Zulassung steht und bei Operationen am offenen Herzen die Bildung von Blutgerinnseln verhindern soll. Die Firma hat nach Pressemeldungen zudem zehn weitere Wirkstoffe aus dem Euter in Vorbereitung.

In Deutschland beteiligt sich die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft an der Erforschung der Medizinproduktion im Euter. Deren 1946 gegründetes Institut für Tierzucht und Tierverhalten (TZV) arbeitet gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut in Hannover daran, Ziegen ein Gen einzubauen, das die Milchdrüse zur Produktion des so genannten Blutgerinnungsfaktors VIII anregt. Dieses Eiweiß hilft gegen die Bluterkrankheit.

Ein Schweineherz fürs Krankenhaus

Im neuen Jahrtausend wird auch der Marketingslogan „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch“ eine neue Bedeutung bekommen: Nachdem Schweineherz und -leber aus deutschen Küchen weitgehend verschwunden sind, sollen diese Organe auf dem OP-Tisch eine Renaissance erleben. Tierinnereien werden zukünftig als Ersatzteil etwa in jene Herzkranke verpflanzt, für die kein menschliches Spenderherz bereit liegt – die so genannte Xenotransplantation.

Normalerweise würde ein Tierorgan vom menschlichen Immunsystem als fremd erkannt und abgestoßen. Mit dem Einbau vom Menschen-Genen wollen die ForscherInnen diese Abstoßung jedoch verhindern: Die neuen Gene täuschen dem menschlichen Immunsystem vor, es hätte kein fremdes Schweineherz, sondern eine körpereigene Blutpumpe bekommen. Erste Versuchsaffen haben solche Eingriffe bereits überlebt. Weltweit leben bereits einige tausend solcher Schweine mit menschlichen Zügen.

Vorne dabei in diesem Bereich biotechnologischer Tierzucht ist die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Mariensee. Sie möchte moderne Alternativen für die Tierproduzenten schaffen und experimentiert seit 1997 mit transgenen Schweinen. Forschungspartner ist die Medizinische Hochschule Hannover – bei der Medizin des dritten Jahrtausends werden die Grenzen zwischen Arzt und Tierarzt fließend.

Das Geschäft mit gentechnisch veränderten Tieren gilt als lukrativer Wachstumsmarkt, die Erzeugnisse sind teuer. Auf jährlich rund 40 Milliarden Mark schätzt das Wirtschaftsblatt Financial Times Deutschland schon heute den Markt für medizinische Proteine. Davon wollen sich die TierforscherInnen eine große Scheibe abschneiden. Bis 2010 sollen allein die gentechnisch veränderten Tierorgane (Forschungsführer: Novartis) einen Umsatz von jährlich 8 bis 12 Milliarden Mark erzielen. Und bei den biotechnologisch im Tier erzeugten Proteinen bewegen sich die Marktschätzungen in Größenordnungen von bis zu 20 Milliarden Mark.

Im Rahmen dieser finanziellen Erwartungen mutieren selbst die früher als „Kühe des kleinen Mannes“ verachteten Ziegen zu Edeltieren: Mit seinem neuen Blutgerinnsel-Gen will das Biotech-Unternehmen Genzyme Transgenic Corp. pro Jahr Medikamente im Wert von 58 Millionen Mark herstellen – mit einer einzigen Milchziege.

Die Henne der Zukunft wird gar die sprichwörtlichen goldenen Eier legen: Gentechnisch verändertes Federvieh soll in der Legebatterie als kleine Pharmafabrik dienen und medizinisch hochwirksame Eier produzieren. Die Firma Gene Works aus Michigan experimentiert gerade mit Hühnereiern, die menschliche Antikörper enthalten und Impfstoff liefern sollen. Und Avi Genetics aus Georgia hat dem Flattertier ein Gen für die Produktion von Interferon eingebaut. Interferone werden bei der Bekämpfung schwerster Erkrankungen wie Krebs und Multipler Sklerose eingesetzt. Das Huhn aus Georgia ist dabei ein wahrlich lukratives Geschöpf: Rund 4,50 Mark beträgt derzeit der Apothekenpreis für ein winziges Mikrogramm Interferon. Bei der angepeilten Ausbeute von 100 Milligramm Wirkstoff pro einzelnem Ei errechnet sich am Ende der stolze Wert von 450.000 Mark – für jedes Ei!

Angesichts der teuren Wirkstoffe darf das moderne Federvieh ein komfortables Arbeitsleben haben: Die noblen Tiere legen nicht jeden Tag ein Ei, sondern sollen ihre BesitzerInnen bereits bei einer 4-Tage-Woche glücklich machen. Eine Jahresleistung von lediglich 200 Eiern erwartet Avi Genetics von seinen Interferon-Hühnern. Nach der Veredelung würde sich die Jahresproduktion einer einzigen Henne damit auf rund 90 Millionen Mark summieren – ein wirklich wertvolles Leben, wo ein vom Iltis leer gefressener Hühnerhof den Börsenkurs ganzer Unternehmen ruinieren könnte.

Auch die Forschungen bei der Bundesanstalt in Mariensee zur Erzeugung des Gerinnungsfaktors VIII sind die Basis für ein Millionengeschäft. Die ForscherInnen erwarten pro Liter Ziegenmilch eine Ausbeute von 0,01 g Wirkstoff, von dem letztendlich 10 Prozent zu Medikamenten verarbeitet werden können. Beim gegenwärtigen Marktpreis dieses „Pharmagoldes“ (Der Spiegel) würden aus einem Liter Ziegenmilch in der Apotheke Medikamente im Wert von 20.000 Mark. Der Weltmarkt wird auf insgesamt rund 750 Millionen Mark geschätzt.

Dem Millionengeschäft stehen jedoch noch die Vorbehalte der Bevölkerung im Weg. Die Angst der Verbraucher: Wie bei der Rinderseuche BSE könnten auch bei der Xenotransplantation mit dem Tierkörper gleichzeitig Krankheiten auf den Menschen übertragen werden. Kann bei der Fleischproduktion noch davon ausgegangen werden, dass das gute Durchbraten viele Krankheitserreger zuverlässig abtötet, sieht dies gerade bei der Transplantation von rohen Organen anders aus. Nicht auszuschließen ist, dass mit dem Schweineherz neue Krankheiten und bislang unbekannte Retroviren über die Menschheit kommen. Manches Virus ist noch im Tier verborgen und hat vielleicht erst mit dem Sprung über die Artengrenze die Chance, sich mörderisch zu entfalten. KritikerInnen wird gerne mit einer Studie des Novartis-Konzerns begegnet, nach der bei jenen 160 Patienten, denen seit 1987 Schweinegewebe in Form etwa von Hautzellen transplantiert wurde, bislang keine tierischen Viren gefunden wurden. Eine stabile Vorhersage für die Zukunft bedeutet diese kleine Zahl jedoch nicht, zumal ein solcher Übertragungsweg von einem US-Forscherteam unlängst im Tierversuch nachgewiesen werden konnte.

Chancen für darbende BäuerInnen?

Nicht nur Biotech-Unternehmen, auch LandwirtInnen stehen vor der Frage, ob sich mit solchen Gen-Tieren ein milliardenschwerer Zukunftsmarkt bietet, der flexiblen Betrieben den Weg in eine goldene Zukunft öffnen kann.

Bei der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Mariensee ist man da eher skeptisch. Die transgenen Tiermodelle der staatlichen Züchter werden nach Ansicht von Professor Niemann kaum den Weg in die normalen Ställe finden. Der Biowissenschaftler schätzt, dass diese Technologien schon aufgrund der enormen hygienischen und sonstigen Anforderungen nur in speziellen Haltungsformen ablaufen werden und damit der vielfach angesprochene „konventionelle Landwirt“ dort kaum zum Zuge kommen wird. Zudem dürften sich selbst interessierte LandwirtInnen durch die hohen Investitionskosten und das durch Patente geschützte Knowhow vor große Hürden gestellt sehen. Die Erzeugung eines einzigen transgenen Schweins kostet nach einer Aufstellung der Schweizer Wissenschaftler Daniel Ammann und Benno Vogel etwa 200.000 Mark, ein Schaf oder eine Ziege sind für 150.000 Mark herzustellen, und für eine Kuh müssen gar 1 bis 2 Millionen Mark auf den Tisch gelegt werden. Wegen der hohen Kosten und Hygieneanforderungen müssen die tierischen Bioreaktoren im pharmazeutischen Hochsicherheitstrakt leben, deshalb wird die Organproduktion eher im direkten Klinikumfeld als auf der Hofstelle angesiedelt sein.

Eine größere Teilhabe landwirtschaftlicher Betriebe an der neuen Produktion steht jedoch dann zu erwarten, wenn in der Ziegenmilch nicht mehr nur medizinisch sauberer Biostahl für für künstliche Sehnen erzeugt wird, sondern Alltagsware. Der Fortschritt in der Medikamentenerzeugung dürfte den Damm brechen für ein vielfältigeres Gebastel am Tier. Ist die Technik erst einmal durchgesetzt, könnten in den gentechnisch veränderten Eutern zusehends auch große Mengen von Baustoffen für den nichtklinischen Bedarf heranreifen.

Vorerst werden die modernen Luxusgeschöpfe also noch keinen Einzug auf dem Hof halten, und es werden keine goldenen Eier in die Nester einfacher BäuerInnen kullern. Möchten die LandwirtInnen von dieser modernen Tierzucht profitieren, bleibt ihnen eine schnelle Möglichkeit: der Kauf von Biotechnologie-Aktien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen