: Buletten geben Bodenhaftung
Die anthroposophische Ernährungslehre ist ein Angebot, das Wesen der Nahrung besser zu verstehen. Nach Steiner vermittelt die Milch zwischen pflanzlicher und tierischer Nahrung, die menschliche Befindlichkeit korrespondiert mit der Ernährung
von ROLAND POSSIN
Innerhalb des anthroposophischen Weltbildes wird die Nahrung des Menschen in drei Hauptgruppen unterteilt: Pflanzliche Lebensmittel, tierische Nahrung sowie Milch und daraus hergestellte Produkte.
Pflanzliche Lebensmittel helfen laut Steiner, sich dem Geistigen zu öffnen. Die Pflanze kann wiederum in drei Bereiche unterteilt werden: in die Bereiche Wurzel, Blatt-Stängel und Blüte-Frucht-Samen. Der Wurzelbereich wirkt sich auf das Sinnessystem des Menschen aus. Diese Beziehung wird darauf zurückgeführt, dass die Wurzel, ähnlich den menschlichen Sinnesorganen, ein Kontaktorgan zur Umwelt darstellt, indem sie Wasser und Mineralien aus dem Boden aufnimmt. Aus anthroposophischer Sicht wirkt sich daher der Verzehr von Möhren positiv bei nervlichen Belastungen aus. Der Blatt-Stängel-Bereich der Pflanze steht in Beziehung zum Brustraum des Menschen. Dieser umfasst das Herz-Kreislaufsystem sowie die Atmungsorgane. Besonders die blättrige Nahrung eignet sich sehr gut zur Unterstützung der Atmung. Die Anthroposophie erklärt den Zusammenhang so: Die Pflanze atmet im Rahmen der Assimilation über das Blatt Kohlendioxyd ein und gibt Sauerstoff ab. Auch beim Menschen arbeitet eine Atemorganisation, jedoch im umgekehrten Verhältnis zur Pflanze. Er atmet Sauerstoff ein und gibt Kohlendioxyd ab.
Pflanzen, bei denen der Blattbereich dominiert, sind etwa Lollo Rosso und Spinat. Der Gerüst gebende Stängelbereich der Pflanze entspricht der ebenfalls stützenden Wirbelsäule des Menschen. Aus dieser Ähnlichkeit wird die positive Wirkung von Pflanzen mit ausgeprägtem Stängelbereich (etwa Mangold und Spargel) auf die Wirbelsäule des Menschen abgeleitet. Pflanzen, bei denen der Blüte-Frucht-Samen-Bereich im Vordergrund steht, wirken sich auf den Bauchraum des Menschen aus. Zum Bauchraum werden unter anderem die Funktionen des Stoffwechsels allgemein und der Fortpflanzung gezählt.
Differenzierter betrachtet zeigt Blütennahrung wie Blumenkohl und Brokkoli die Tendenz, Wärmestauungen im Körper zu lösen. Die Anthroposophie begründet diese Ansicht mit der Parallele zwischen dem Stoffwechselsystem des Menschen und dem der Blüte der Pflanzen. Beiden wohnt ein höherer Wärmegrad inne als in den übrigen Bereichen. Über die Fruchtnahrung, zu der auch Getreide gehört, wird die Blutbildung angeregt.
Die Samennahrung, zu der beispielsweise Nüsse gehören, wirkt sich wärmend auf die Organe des Menschen aus. Dies wird darauf zurückgeführt, dass sich im Samen das Licht der Sonne besonders konzentriert speichert und eine entsprechende wärmende Wirkung bei deren Verzehr auf den Menschen übergeht. Tierische Nahrung wirkt „schwerefördernd“. Ständiger Fleischgenuss kann laut Anthroposophie zur Folge haben, dass man sich intensiver mit dem Materiellen verbunden fühlt und fester auf dem Boden der Tatsachen steht.
Die Milch und daraus hergestellte Produkte nehmen in der anthroposophischen Ernährung eine vermittelnde Stellung zwischen der pflanzlichen und der tierischen Nahrung ein. Milchprodukte bringen den Menschen mit seinen weltlichen Aufgaben in Verbindung, lassen ihm aber auch den Freiraum, sich dem Geistigen zu öffnen.
In der Praxis empfiehlt es sich, alle drei Komponenten in der täglichen Ernährung zu verwenden. Jeder Mensch ist in seinem Tagesablauf unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt. Wer beruflich viel am PC zu tun hat, kann sich durch wurzeliges, nervenstärkendes Gemüse, etwa in Form von Karottensalat, einen Ausgleich schaffen. Wer in der kalten Jahreszeit oft friert, sollte es einmal mit einem wärmenden Hirseauflauf versuchen.
Für abgehobene Mitbürger empfiehlt sich fleischige Kost. Wer hingegen seine Sensitivität ausbauen möchte, kann dies über eine bevorzugt pflanzliche Ernährungsweise tun.
Roland Possin ist Ernährungswissenschaftler und hat unter anderem das Buch „Hüter der Schöpfung“ veröffentlicht
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