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Backfisch allein im Knast

■ Ausländerbehörde steckt 15-Jährige in Abschiebehaft / Grüne wollen den Abschiebegewahrsam mit einem Landesgesetz regeln

Ascinia war 14 Jahre alt. Ein Schlepper brachte sie und ihre Cousine nach Deutschland. Dann verschwand der Mann, den sie „Peter“ nannte. Das Mädchen aus Bulgarien wurde in einem Heim untergebracht. Aber sie riss immer wieder aus.

Einen Monat nach ihrem 15. Geburtstag griff die Polizei sie auf. Man steckte sie ins Abschiebegefängnis im Polizeipräsidium In der Vahr. Dort blieb sie bis zu ihrer Abschiebung – allein, neun Tage lang. Das Kind hatte dort keinerlei Betreuung. Immerhin sei der Frauentrakt ansonsten leer gewesen, heißt es aus dem Innenressort entschuldigend. Als wären andere Abschiebehäftlinge für Kinder gefährlicher als Einsamkeit. Ascinia hatte eine Zelle und den ganzen Aufenthaltsraum für sich allein. Sie konnte Fernsehen so viel sie wollte. Sie hat nicht verstanden, wo sie war. Nur dass sie diesmal nicht einfach wieder ausbüxen konnte.

Nimmt man die Rechtslage, hätte all das nicht passieren dürfen. In der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz“ ist klar geregelt, wer in Abschiebehaft genommen werden darf – und wer nicht: „Minderjährige, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben“, so die Vorschrift im Wortlaut, „sollen grundsätzlich nicht, außer bei Straffälligkeit, in Abschiebungshaft genommen werden“. Weiter heißt es, „Minderjährige Ausländer, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sind bis zur Abschiebung regelmäßig in der bisherigen Unterkunft unterzubringen.“ Im Fall von Ascinia spielten die Vorschriften offensichtlich keine Rolle.

Kein Einzelfall, fürchtet die grüne Jugendpolitikerin Anja Stahmann. Deshalb hat die Abgeordnete für die nächste Bürgerschafts-Fragestunde eine Anfrage gestellt. Die Grünen-Fraktion will vom Senat wissen, wie viele minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in diesem Jahr in Abschiebehaft gesessen haben und abgeschoben wurden. Auch, ob dort eine Betreuung gewährleistet war, soll die Regierung offenlegen. Schließlich interessiert die Grünen auch die Frage, in was für Verhältnisse die Behörden Kinder und Jugendliche abschieben. Andere Bundesländer schieben nämlich grundsätzlich keine unbegleiteten Minderjährigen ab.

Der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Matthias Güldner, fordert nach der Ascinia-Geschichte einmal mehr eine klare gesetzliche Regelung der Abschiebehaft in Bremen. „Wir bewegen uns da in einem rechtsfreien Raum“, sagt er. Ganz so dramatisch sieht es sein SPD-Kollege Hermann Kleen nicht: „Wir haben ja eine Regelung. Und von Beamten kann man erwarten, dass sie eingehalten wird, egal ob es eine Verwaltungsvorschrift ist oder ein Landesgesetz.“ Die Notwendigkeit eines Gesetzes werde zwar dennoch geprüft, aber eine Einigung mit dem Koalitionspartner CDU hält Kleen für äußerst schwierig.

Im Koalitionsvertrag ist dieser Punkt nicht enthalten und Innensenator Bernt Schulte (CDU) hat schon abgewinkt: „Kein Rege-lungsbedarf“. In der Ausländerpolitik, das weiß Kleen aus Erfahrung, „ist es für diese Koalition am schwersten, zu Einigungen zu kommen.“ In der Innendeputation dauern die Beratungen über ein Gesetz zur Abschiebehaft deswegen auch schon seit März an, ohne dass sich ein Ergebnis abzeichnet. Wahrscheinlich ist, dass die Grünen in der nächsten Legislaturperiode wieder ein Gesetz beantragen – wie in der vorigen auch schon. Vielleicht erinnert sich dann noch jemand an Ascinia. Jan Kahlcke

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