: Produktionsfaktor Mensch
Die betriebliche Mitbestimmung hat sich bewährt. Und doch hat sie, gerade mit Blick auf die „New Economy“, so viele Lücken, dass neue gesetzliche Regelungen notwendig sind
Wenigstens darin sind sich alle einig: Das zuletzt 1972 novellierte Betriebsverfassungsgesetz wird in der jetzigen Form den veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen nicht mehr gerecht, daher muss es angepasst werden. Damit ist die Gemeinsamkeit aber auch schon erschöpft. Die Arbeitgeber, ihre Verbände und befreundeten Politiker wettern, das Gesetz sei „Gift für den Standort“. Die DGB-Gewerkschaften hingegen hoffen, dass die von ihnen herbeigesehnte rot-grüne Bundesregierung wenigstens dieses Wahlversprechen hält: „Die Mitbestimmung am Arbeitsplatz ist im Interesse der Beteiligung und Motivation der Beschäftigten zu stärken.“
Noch vor Jahresende soll der Referentenentwurf von Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) vorgestellt werden. Ein vorab kursierendes „Eckpunktepapier“ sieht vor, „die zunehmende Erosion der Mitbestimmung zu stoppen“, die Wahlvorschriften zu erleichtern und den Betriebsräten neue Rechte bei der Qualifizierung und Beschäftigungssicherung sowie beim betrieblichen Umweltschutz einzuräumen.
Auch wenn sie meckern: Die deutschen Unternehmer haben keinen Grund, sich vor der Mitbestimmung zu fürchten. Nicht nur, weil die Regierung den Konflikt mit den Wirtschaftsverbänden vermeiden will und die Kanzler-SPD ihre Kollegen in den Gewerkschaften leichter als jemals zuvor bändigen kann. Die wichtigsten und klügsten Kapitalisten wissen, dass eine gesetzlich gezähmte und ordentlich regulierte Arbeiterbewegung durchaus nützlich für das Kapitalinteresse ist. Die Unternehmer profitieren ganz handfest davon, dass Betriebsräte mittlerweile „Co-Manager“ sind, die Sachverstand und Courage kombinieren.
Unternehmer, die diesen Titel zu Recht tragen, sind an Mitbestimmung der Beschäftigten auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen interessiert. Kein Managerseminar, auf dem nicht die überragende Bedeutung des „human capital“ als wichtigster Produktionsfaktor gerühmt wird. Kein Betrieb ohne ein Projekt „Total Quality Management“, das in der Mitarbeitermotivation den Schlüssel des betrieblichen Erfolges sieht. Und die mustergültige Zusammenarbeit mit „ihrem“ Betriebsrat leugnen auch Unternehmerfunktionäre wie BDA-Präsident Dieter Hundt nicht: „Die Zusammenarbeit ist die Grundlage dafür, dass Verhandlungsergebnisse auch wirklich am nächsten Tag im Betrieb umgesetzt werden“, räumt der schwäbische Unternehmer ein. Insgesamt geben drei Viertel aller Arbeitgeber der Zusammenarbeit mit ihren Betriebsräten gute bis sehr gute Noten, bestätigt das Institut der deutschen Wirtschaft.
Das war mal alles ganz anders, und es ist noch gar nicht lange her. In der (kurzen) antikapitalistischen Nachkriegsperiode wollten die Gewerkschaften die Sozialisierung der Grund- und Schlüsselindustrien. Bekommen haben sie die Mitbestimmung. Danach haben die Gewerkschaften nie wieder ernsthaft die Systemfrage gestellt. Der „soziale Friede“ hielt, zumal der abschreckende DDR-„Sozialismus“ die Sozialpartner der BRD in treuer Ablehnung fest vereinte. Aber das ist alles Geschichte.
Für die Gewerkschaften und die Betriebsräte hat die alles in allem funktionierende Betriebsrätedemokratie mittlerweile so viele Lücken, dass neue gesetzliche Regelungen erforderlich sind. Kaum ein Unternehmen ist mehr auf den nationalen Rahmen beschränkt. Kaum ein Unternehmen behält die einmal gewählte Rechtsform bei. Ständig werden Firmen umgegründet, verschmolzen und ausgelagert. Ein Betriebsrat hinkt den rasanten und komplexen Veränderungsprozessen hinterher, weil er nur bei bestimmten Ereignissen – etwa einer Betriebsschließung – berechtigt ist, Informationen zu erhalten oder in Verhandlungen einzutreten. Meist muss sich die Mitarbeitervertretung den zuvor geschaffenen Fakten beugen.
Zeitgemäße Mitbestimmung würde den Betriebsräten das Recht einräumen, nicht nur bei den bisher beratungspflichtigen Betriebsänderungen, sondern auch bei den Unternehmensumwandlungen mitzuwirken. Und zwar von Anfang an. Und einschließlich einer Sanktionsmöglichkeit, die es Unternehmen nicht erlaubt, den Betriebsrat zu umgehen. Zeitgemäße Mitbestimmung macht jedoch auch eine Professionalisierung der Betriebsräte erforderlich. Es genügt nicht, eine Bilanz in die Hände zu bekommen, man muss sie auch lesen können. Dazu braucht es Schulung und den Sachverstand von Gutachtern. Beides müssen Betriebsräte oft in kleinlichen und ärgerlichen Verfahren einklagen. Eine gesetzliche Regelung würde da helfen.
Die Gewerkschaftsforderung, Betriebsräte rascher und unbürokratischer wählen zu können – ja, selbst die Senkung der vorgeschriebenen Mindestzahlen, um überhaupt einen Betriebsrat zu wählen (von fünf auf drei Mitarbeiter) oder freizustellen (von 300 auf 200) – sind zwar wichtige Veränderungen. Noch bedeutsamer ist aber die Neudefinition des Betriebes und der wahlberechtigten Arbeitnehmer. Unternehmen schaffen es heut zu Tage, sich in kleine, zum Teil virtuelle Einheiten aufzulösen, sodass formalrechtlich kein Betriebsrat möglich ist. Entscheidend sollte jedoch die organisatorische Gemeinsamkeit, nicht die rechtliche Hülle sein. Jeder, der im Betrieb arbeitet, und sei es zeitweise, sollte wahlberechtigt sein.
Selbst darüber könnten sich die Streitpartner vielleicht noch einigen. Schwierig wird es jedoch bei den Investitionen. Einen „Eingriff in die unternehmerischen Entscheidungen“, so BDA-Präsident Hundt, werde man nicht einmal beim Umweltschutz hinnehmen. Natürlich: Investitionen sind nicht mehr denkbar, ohne die gesetzlichen Vorschriften für den Umweltschutz zu berücksichtigen. Aber wie beim Arbeits- und Gesundheitsschutz sind die Beschäftigten von solchen Entscheidungen direkt betroffen, sodass eine Verweigerung der Mitwirkung „nur“ ideologisch begründet sein kann. Oder, um ein wenig Klassenkampfrhetorik zu bemühen: Das Kapital will die unumschränkte Verfügungsgewalt behalten. Die Frage ist daher, wie viel Kraft die Arbeiterbewegung noch aufbringen kann, um ihre Selbsterhaltung gesetzlich zu erwirken.
Solange es die „Old Economy“ gibt, wird es auch mit der Sozialpartnerschaft weitergehen. Die Zukunft der Mitbestimmung entscheidet sich für die Gewerkschaften bei den jungen Firmen der „New Economy“ mit ihren flachen Hierarchien, die gerne behaupten, sie kämen sehr gut ohne Betriebsräte aus und beteiligten die Mitarbeiter lieber mit Aktienoptionen. Wer jedoch beim gegenwärtigen Desaster am Neuen Markt nicht nur die einstürzenden Börsenkurse, sondern auch die drohenden Insolvenzen der Startups sieht, der ahnt, wie nötig die dort Beschäftigten jetzt Mitarbeitervertretungen hätten, die nicht allein von der wohlwollenden Gründungseuphorie eines smarten Jungunternehmers am runden Tisch in der Cafeteria abhängig sind. HEINZ SIEBOLD
Hinweise:Die Unternehmer profitieren ganz handfest davon, dass Betriebsräte mittlerweile Co-Manager sindNoch bedeutsamer ist die Neudefinition des Betriebes und der wahlberechtigten Arbeitnehmer
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