piwik no script img

Berliner Grüne bleiben dabei: Multikulti

Renate Künasts Abschied von der multikulturellen Gesellschaft sorgt beim Berliner Landesverband der Grünen für geharnischte Kritik. Auch der Türkische Bund beklagt das Niveau, das die Debatte mittlerweile erreicht habe

Die Forderung der grünen Bundeschefin Renate Künast nach einem Abschied vom Begriff der multikulturellen Gesellschaft ist bei den Berliner Grünen gestern auf scharfe Kritik gestoßen. „Von solchen Begriffen verabschiedet man sich nicht so hoppla-hopp“, sagt Landesvorstandssprecher Andreas Schulze. Er jedenfalls werde ihn weiterhin verwenden, denn „faktisch ist Berlin eine multikulturelle Gesellschaft“. Für Schulze wie für viele andere Grüne in der Einwanderungsstadt Berlin stellt sich weniger die Frage der Begrifflichkeit als die ihrer Ausgestaltung. „In einer Stadt mit über 70 Kulturen muss es darum gehen, Vorurteile auszuräumen und eine inhaltliche Debatte zu führen.“

Diesen Schwerpunkt sieht auch Öczan Mutlu, der eine „Scheindebatte, die an der Sache vorbeigeht“ ablehnt. „Die multikulturelle Gesellschaft ist ein existierender Zustand, der auch in der politischen Realität umgesetzt werden muss“, sagt der bildungspolitische Sprecher der Berliner Grünen. Er selbst werde „selbstverständlich an der Idee festhalten“ und den Begriff auch nach wie vor verwenden. Der von Künast als Alternative genannte „Verfassungspatriotismus“ sei darüber hinaus eine „Selbstverständlichkeit“, denn Gesetze gelten für jeden.

Der grüne Flüchtlingspolitiker Hartwig Berger wirft Künast vor, aus der Realität ins „Raumschiff nationaler Politik entschwunden zu sein“. Gegen eine „Leerformel“ wie die der Leitkultur müsse man seine Grundideen verteidigen, zumal es auch innerhalb der CDU kritische Stimmen gebe. Die Idee des Multikulturalismus ist für Berger „quicklebendig“. Seiner Bundesvorsitzenden, die zuvor Chefin der Berliner Abgeordnetenhausfraktion war, empfiehlt Berger, die Augen nicht vor der Wirklichkeit zu verschließen. Ähnlich sehen die Problematik auch die Betroffenen.

Nach Ansicht des Türkischen Bundes ist die ganze Diskussion nicht nur „überflüssig“, sondern zielt darauf ab, „am rechten Rand Stimmen abzugreifen“, sagte dessen Sprecher Safter Cinar. Den Begriff Leitkultur findet Cinar „diskriminierend und undemokratisch“. Als „fatal“ bezeichnete er das Niveau der Diskussion, in der nicht mehr mit dumpfen „Kinder statt Inder“-Sprüchen operiert, sondern auf subtile Weise ausländerfeindliche Stimmung erzeugt werde.

Einzig Norbert Cyrus vom polnischen Sozialrat unterstützt Künasts Kritik. Er bezeichnet den Begriff Multikulti als „unglücklich“, da er Menschen einzig auf ihre Kultur zurückwirft. Damit werden sie auch wieder in Pizza-Döner-Tsatsiki-Stereotypen gepresst, doch eigentlich gehe es um Toleranz. OLIVER VOSS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen