Putin hat das Klassenziel erreicht

Beim EU-Russland-Gipfel läuft für Russlands Präsidenten alles nach Plan. Strategische und wirtschaftliche Projekte sind unter Dach und Fach. Demgegenüber bleiben unangenehme Fragen zur Lage in Tschetschenien und Demokratiedefiziten aus

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Besser hätte es auf dem Gipfel zwischen der Europäischen Union und Russland in Paris für Präsident Wladimir Putin nicht laufen können. Seit Ausbruch der Kosovo-Krise herrschten wieder Einvernehmen und gute Stimmung auf einem Gipfel. Die westlichen Staatschefs fassten den Kremlherrn mit Samthandschuhen an und ersparten ihm bohrende Fragen.

Neben dem Tschetschenienkrieg hätten auch Putins Umgang mit der kritischen Presse und der Versuch des Kremls, in den Regionen willfährige Gouverneure zu installieren, eine aufmerksamere Würdigung verdient. Stattdessen behielten die Zyniker im Umkreis des Kremls Recht, die einen glatten Verlauf prognostizierten. Nach dem Motto: Menschenrechte nehme man in Paris zwar traditionell ein bisschen ernster, aber sonst ...

Aber sonst ging man in Paris zu den wirklich brennenden Fragen über. Im Mittelpunkt der Konsultationen standen strategische Projekte im Energiebereich. Russland hatte einen Trumpf. Wegen der hohen Rohölpreise sucht die EU nach Lieferanten, die nicht der Opec angehören. Zwar wurden noch keine Verträge unterzeichnet, einer langfristigen engen Kooperation zwischen der EU und Moskau steht nichts mehr im Wege. Außer zusätzlichen Gas- und Öllieferungen will Russland Europa auch mit Elektrizität versorgen. Die ausländischen Investitionen in Russland versprach der Kreml durch Bürgschaften zu sichern. „Russland ist bereit, seinen Beitrag zur Energiesicherheit Europas auf lange Sicht zu leisten“, sagte Putin.

Sollte der Kreml Wort halten, wäre das ein Novum und würde das Investitionsklima in Russland verbessern. Diese Perspektive aufzuzeigen und Russland als einen langfristigen und zuverlässigen Kreditnehmer einzuführen, darin bestand nach Aussage eines Kremlmitarbeiters Putins wichtigstes Ziel der Reise. Großes Interesse zeigt der Kreml auch am Projekt eines europäischen Sicherheits- und Verteidigungssystems. Wenn es auch nicht offen ausgesprochen wird, sieht Moskau darin eine Bestätigung seines außenpolitischen Konzepts einer multipolaren Weltordnung. Bisher hat der Kreml auf der Suche nach Verbündeten in Indien und China verbale Rückendeckung erhalten. Insofern knüpft Moskau an europäische Emanzipationsversuche gegenüber Washington Hoffnungen. In einer separaten Erklärung zur Kooperation in Sicherheitsfragen verpflichtete sich die EU, Möglichkeiten, wie Russland in ein europäisches Krisenmanagement eingebunden werden könnte, zu prüfen.

Der Konflikt in Tschetschenien wurde nur en passant behandelt. Eine gemeinsame Erklärung betont, man wolle frühere Differenzen beseitigen. Nach wie vor stünde eine politische Lösung im Mittelpunkt, die die territoriale Integrität Russlands wahren müsse. In Moskau ist man erleichtert, dass Tschetschenien endgültig in der Politik des Westens gegenüber dem Kreml keine Rolle mehr spielt.

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