auf der suche nach der deutschen leitkultur: Eine Recherche der taz und des KulturRadios Lotte in Weimar*
„Unter meiner Perspektive eher ein einladender Begriff“
Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität, Schwerpunkte Deutsche Mythen („Sieg-Frieden“) und Demokratietheorie
Mir hat mal ein alter deutscher Emigrant von 1933 gesagt: „We are all corrupted by the american way of life.“ Das heißt, er habe sich ganz zwangsläufig an die Art und Weise, wie die Amerikaner leben, angepasst. Da kommt also etwas ganz Selbstverständliches zum Ausdruck, das diese jüngste deutsche Diskussion entdramatisieren würde. Culture ist das, was in einem Land gleichsam eine bindende Kraft besitzt und gar nicht durchgesetzt werden muss. „Deutsche Leitkultur“, das hieße dann nichts anderes, als dass es bestimmte Leitwerte gibt und dass die auch eine bestimmte Geschichte der Durchsetzung innerhalb des Landes haben. Daran kann ich nichts Schlimmes finden. Der Begriff der Leitkultur ist unter meiner Perspektive eher ein einladender Begriff.
Friedrich Merz hat diesen Begriff natürlich anders gemeint. Merz wollte innerhalb der CDU einen Begriff besetzen, der von den rechten Stahlhelmern bis zu den Liberalen alles abdeckt. Die meiner Ansicht nach nicht gelungene Reaktion – auch seitens der Sozialdemokraten und der Grünen – liegt nun darin, den Begriff als ganzen abzulehnen. Man müsste ihn anders besetzen. Eine Gesellschaft nämlich kann sich desto mehr multikulturelle Liberalität erlauben, je klarer in ihr auch das ausgeprägt ist, was eine demokratische Leitkultur ist.
* „Zuwanderer müssen sich der deutschen Leitkultur anpassen“ (Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion)
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