: Stille ist hier nichts Besonderes
■ Das Ziel ist klar: der Lüneburger SK versucht, den Abstieg aus der Regionalliga zu vermeiden
Vom Hamburger Hauptbahnhof aus ist man genauso schnell in Lüneburg wie in Blankenese. Nicht einmal eine halbe Stunde braucht der Interregio bis zu der von schmucken Altbauten und SozialpädagogikstudentInnen geprägten Kleinstadt. Doch außer dem Korrrespondenten des Fachorgans für Fachsimpler, dem Sport-Mikrofon, verirrt sich nur selten ein Fußballverrückter aus der Hansestadt in das Heidestädtchen.
Dabei spielt der ortsansässige Lüneburger SK in der dritthöchsten deutschen Liga – zusammen mit Traditionsclubs wie Union Berlin oder Fortuna Düsseldorf. Und dieser vermeintlichen Ehre kann sich in Hamburg, das noch vor vier Jahren sieben Regionalligisten stellte, nach dem diesjährigen Abstieg der Amateure des FC St. Pauli und des HSV kein Verein mehr rühmen.
Doch auch in Lüneburg selbst hält sich die Euphorie ob der illus-tren Gäste in engen Grenzen. Selten passieren mehr als 2000 Füße die immerhin sechs Kassenhäuschen. Und die erweisen sich zu allem Unglück auch noch als Stinkstiefel. Nach der schwachen Vorstellung des Tabellenletzten beim 0:2 in Dortmund hatten „101-prozentige LSK-Fans“ via Internet zu „Protestkundgebungen“ und einer „stillen Viertelstunde“ beim Spiel gegen den SV Wilhelmshaven aufgerufen.
Still wars tatsächlich am vergangenen Samstag, auch wenn langjährige Stadionbesucher versicherten, das sei am Wilschenbrook nichts Besonderes. Alleine das Transparent mit der Aufschrift „Dauerkarte zu verschenken“ vermochte dann doch für ein wenig Gesprächsstoff zu sorgen: Stadionsprecher Addi Ahrens sah sich bemüßigt, nach dem anschließenden 2:1-Sieg dazu aufzufordern, man möge sich solch unautorisierte Werbeaktionen im eigenen Interesse doch noch mal überlegen.
In der Tat ist die Protest-Attitüde der Fans nicht sonderlich gerecht: Immerhin hatte der LSK in der letzten Saison nur in der Relegation die Qualifikation zur Regionalliga geschafft. Und es hätte an ein zweites Wunder gegrenzt, hätte man mit dem kleinsten Etat der Liga so eben mal das Feld der Großen aufmischen können. Umso beachtlicher also, dass die Mannschaft bisher fast alle Begegnungen offen gestalten und am Wochenende das dritte Heimspiel in Folge gewinnen konnte. Die beiden Stürmer Riccardo Baich (vier Treffer) und der ehemalige St. Paulianer Jens Scharping (sechs Tore) treffen darüber hinaus recht zuverlässig.
Nicht immer souverän wirkt hingegen die Abwehr um Routinier Paul Berta. Und wenn Trainer Harry Pleß davon spricht, die Schwarz-Weißen müssten lernen, ihre „kämpferischen Tugenden optimal einzusetzen“, ist das nur ein verklausuliertes Eingeständnis ihrer beschränkten spielerischen Möglichkeiten. Dennoch hat man in Lüneburg nicht die Hofffnung aufgegeben, den Abstieg noch abwenden zu können. Demnächst will sich Pleß „mit Präsident Wolfgang Eichelmann zusammensetzen, um über Verstärkungen zu reden“.
Doch da hatte der schnauzbärtige Coach offenbar noch nicht die Stadionzeitung „Wilschenbrooker“ gelesen. Dort hatte Eichelmann nämlich beteuert, er verspüre keinerlei Hang zur Kleptomanie („Woher nehmen, wenn nicht stehlen?“). Überhaupt fühle er sich ungerecht behandelt, so der Inhalt der rhetorisch wenig geschliffenen Replik auf den Vorwurf der Unfähigkeit: „Es gibt immer wieder Spekulationen, wenn es mal in der Mannschaft nicht läuft, schnell werden neue Spieler gefordert, als Allheilmittel, um das Tabellenende zu verlassen. Und wenn ein Vorstand da nicht sofort reagiert, werden ihm Tatenlosigkeit und Konfusion vorgeworfen.“
Weder tatenlos noch konfus ist hingegen der Macher des farbigen 16-Seiters, das eigentlich aus Kos-tengründen zum Ende der vergangenen Saison eingestellt werden sollte und nur aufgrund des überraschenden Klassenerhaltes der Niedersachsen eine Gnadenfrist erhielt. Riccardo Baich, nebenberuflich Stürmer beim LSK, arbeitete schließlich lange Jahre in der redaktion des erwähnten Sport Mikrofons. Dem Vernehmen nach werkelt er derzeit mit Hochdruck an seinen Bewerbungsunterlagen, die er diversen Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen zusenden möchte. Falls die derzeit vier Punkte auf den rettenden 14. Platz doch nicht mehr aufgeholt werden sollten.
Christoph Ruf
Der Lünburger SK tritt morgenum 14 Uhr in der Regionalliga beim Dresdner SC an
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen