: Bulldozer im Porzellanladen
„Refrain und Groove! Und halt dich nicht mit dem Schreiben von Strophen auf!“ Fatboy Slim macht keine Philosophie aus seiner Musik. Doch auf seinem neuen Album gibt er sich auf seine Art fast subtil
von BJÖRN DÖRING
Man darf es getrost als Tabubruch betrachten. Während feingeistige Clubgroove-Existenzialisten nur auf skurrile, unbekannte und mithin von vordergründiger Kontext-Last befreite Soundpartikel zurückgreifen, präsentiert sich Norman Cook alias Fatboy Slim mit seiner aktuellen Single „Sunset (Bird Of Prey)“ aus seinem Album „Halfway Between The Gutter And The Stars“ wieder einmal als Bulldozer im Porzellanladen.
Wie sollte es auch anders sein? Schließlich prägte er nicht nur den Sinnspruch aller Dancefloor-Pragmatiker („Refrain und Groove. Und halt dich nie mit dem Schreiben von Strophen auf!“), sondern konzentrierte sein bisheriges Wirken rigoros auf Gimmicks, Comics und Pop ’n’ Roll. Eine Vita, deren Anfänge in der Prä-Acid-Ära der 80er-Jahre zu finden sind, als Cook das delikate Pseudonym eines DJ Megamix wählte, um seinen ersten Track „The Finest Ingredients“ zu veröffentlichen.
Nach einem Gastspiel bei den Housemartins (1985 – 1989) knüpfte Cook mit der Club-Kommune Beats International erfolgreich an die ersten Dancefloor-Versuche an, und mit Titeln wie „Sex On The Streets“, das er als Pizzaman veröffentlichte, führte er die Tradition der brachialen Namensgebung fort. „Was soll ich machen?“, fragt Norman Cook, dessen Charme über alle Entgleisungen hinweg lächelt. „Subtiles Vorgehen oder Einfühlungsvermögen zählten bisher nicht zu meinen stärksten Charaktereigenschaften.“
Doch nun, so verheißt sein Bekenntnis auf implizitem Wege, soll sich alles zum Subtilen wenden. Runter also vom derben Dancefloor, den Fatboy Slim mit seiner Debüt-Single „Santa Cruz“ 1995 mit begründete, ihn dank des Megahits „The Rockafeller Skank“ vom Album „You’ve Come A Long Way, Baby“ 1998 auf eine dramaturgische Spitze trieb, so dass der Sound zuletzt nur noch wie eine Fortsetzung des Rock mit anderen Mitteln anmutete. Auf Bigbeat habe er nicht zurückgreifen wollen, sagt Cook, denn „das ist wie bei einem Witz – der ist auch nur einmal lustig.“ So grub er für die erste Single nach dem Hype einen alten Trance-Track mit einer für seine Verhältnisse beinah fragilen Instrumentierung aus, nur um dann doch wieder genussvoll in den bereits erwähnten Fettnapf zu greifen.
Denn nach Zitaten von The Who („I Can’t Explain“ taucht – wenn auch in einer wunderbar trashigen Version – in „Goin’ Out Of My Head“ auf), The Clash (die Bassline von „Guns of Brixton“ steckt in „Dub Be Good To Me“ von Beats International), The King („In The Ghetto“, Beats International) sowie The Lionel Ritchie („Tribute To King Tubby“, ebenfalls von Beats International, zitiert „All Night Long“) lässt es sich Norman Cook nicht nehmen, noch einen plakativen Namen aus dem Pop-Rock-Kontext in die Fatboy-Festung zu holen: auf „Sunset (Bird Of Prey)“ nölt Jim Morisson einige seiner notorischen Todesfantasien und lädt den Song so mit der kompletten Doors-Historie auf – ein Effekt, an den Cook vorab aber keinen Gedanken verschwendet haben will: „Ich mache keine Philosophie aus meiner Musik“, gibt er sich verwundert. „Ich arbeite instinktiv und denke nicht über unterbewusste Prozesse nach.“
Vielleicht schickt er Morisson und die ebenfalls auf dem Album vertretenen Macy Gray, Bootsy Collins und Roland Clarke auch nur vor, um nicht ganz allein den Wandel in seiner Musik vertreten zu müssen. Neben den üblichen Achterbahn-auf-der-Überholspur-Tracks wie „Yo Mama“ oder „Mad Flava“ breitet sich etwa in dem von Roland Clarke gesungenen „Song For Shelter“ die wohlige Wärme des Gospels über einem simplen House-Beat aus, während die wunderbar verquere Stimme von Macy Gray in der Soul-Ballade „Demons“ alle Oberflächlichkeit vergessen lässt.
Soll man in diesem Zusammenhang Morissons Todesvisionen gar als Abgesang auf alle neuerlichen Hypes deuten? Denn was für Fatboy Slim ein riesiger Schritt ist, muss für hype(r)ventilierende Trendscouts wie ein Trippeln im Rhythmus „Zwei vor, eins zurück“ wirken. Doch auch ohne akribische Sample-Interpretation lässt sich feststellen, dass Cook die Kunst der reduzierteren Gesten entdeckt hat. „Erstmals geht es um Qualität und nicht um Quantität“, gesteht Cook und erklärt, erst durch seine Frau Zoe Ball erkannt zu haben, „dass es Dinge im Leben gibt, die nichts mit Musik zu tun haben“.
Heim, Hund und ab Dezember ein Baby dienen als Korrektiv des Party Animals, und sie erfüllen Norman Cook mit Zufriedenheit. Unsicher ist er nur in der Frage, ob man als Produzent noch die Schärfe behalten kann, wenn man nicht mehr täglich auf der größten Party des Abends turnt.
„Ich denke da an Paul McCartney, der nie wieder etwas Gutes veröffentlicht hat. Aber ich habe meiner Plattenfirma schon gesagt, dass sie mich ohne großes Aufheben feuern sollen, sobald ich ein schlappes Album abliefere: Wenn ich jemals ein Lied für mein ungeborenes Kind schreiben sollte, dann schmeißt mich erst raus und erschießt mich danach.“ Für so drastische Lösungen besteht vorerst noch kein Bedarf. Aber mit solcher Großmäuligkeit beweist Norman Cook, dass zumindest der Titel seines neuen Albums gut gewählt ist: Man kann den Jungen zwar aus der Gosse holen, doch wird man die Gosse nie ganz aus dem Jungen herausbekommen.
Fatboy Slim: „Halfway Between The Gutter And The Stars“ (Epic), ab 6. 11.
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