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„Etwas wie das Centre Pompidou“

Peter Conradi, Präsident der Bundesarchitektenkammer, sitzt in der Expertenkommission zur Bebauung des Berliner Schlossplatzes. Er plädiert für eine öffentliche Nutzung und will jungen Architekten eine Chance geben

Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER und UWE RADA

 taz: Herr Conradi, Bauminister Klimmt hat am Mittwoch die Zusammensetzung der Kommission zur Gestaltung des Berliner Schlossplatzes bekannt gegeben. Haben Sie eine Flasche Sekt geköpft?

Peter Conradi: Nein, aber ich habe mein Schlafzimmerfenster zugemacht, das seit Mai offen stand, um den Ruf für die Kommission nicht zu überhören.

Lässt Sie die Zusammensetzung der Kommission jetzt ruhig schlafen?

Die hatte ich nicht zu beeinflussen und habe ich nicht zu beurteilen.

Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, selbst erklärter Befürworter der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, hat bereits eine Mehrheit der Schlossgegner ausgemacht.

Auf das Abzählspiel „Wer ist für oder wer ist gegen eine Schlossrekonstruktion“ lasse ich mich nicht ein. Ich klopfe auch die anderen Mitglieder der 23-köpfigen Kommisssion nicht darauf ab. Es geht vielmehr darum, mit Sachverstand und Offenheit eine Diskussion zu führen und ein gutes Ergebnis für diesen wichtigen Ort in der Hauptstadt zu bekommen.

Die Bundesrepublik ist ein föderaler Staat und ein europäischer dazu. Ist eine Debatte um einen Schlossplatz zur Wiedergewinnung eines städtischen und nationalen Zentrums nicht anachronistisch?

Was in der historischen Mitte Berlins gebaut wird, sagt etwas über uns aus: über unser Selbstverständnis, über das, was uns wichtig ist. Es ist eine gesellschaftliche Botschaft, so wie etwa der Bau des Olympiageländes 1972 von Günter Behnisch etwas über die Bundesrepublik als offene, demokratische, heitere Republik vermittelte. Dasselbe gilt für den Plenarsaal in Bonn. Am Schlossplatz geht es deshalb nicht um bauliche Aussagen über den Kulturföderalismus oder eine so genannte deutsche Leitkultur. Was hier entsteht, wird ein gesamtgesellschaftliches Symbol sein.

Der Plenarsaal und auch das Münchener Olympiastadion gelten als bauliche Symbole für die Bescheidenheit der Bonner Republik. Am Schlossplatz geht es um einen historischen und zentralen Ort für die Berliner Republik. Brauchen wir eine bauliche oder geistige Mitte von Stadt und Staat?

Die Frage ist doch, was mit einem zentralen Platz deutscher Geschichte geschieht, an dem sich Preußen, das Kaiserreich, die Weimarer Republik, die Nazis und dann die DDR dargestellt haben. Jetzt ist es ein Ort der Bundesrepublik, und was dort gebaut wird – auch wenn es ein privater Hotelbau wäre, was ich obszön fände –, macht so oder so eine Aussage über den Zustand des Landes.

Ist damit der Peinlichkeit nicht Tür und Tor geöffnet? Was wäre, wenn sich der Zustand unseres Landes im Bau eines Tagungszentrums, von Läden, Büros oder eines Hotels ausdrückt?

Es ist völlig klar, dass zuerst die Frage der Nutzung geklärt werden muss, die ich mir nur öffentlich vorstellen kann. Überlegenswert ist sicher, ob eine Bibliothek oder Teile der Dahlemer Museen in der historischen Mitte angesiedelt werden können oder ob es ein Nutzungskonzept gibt, das mit dem Centre Pompidou in Paris vergleichbar ist, das mit Kultureinrichtungen für Ausstellungen, öffentliche Tagungen und Kongresse gut dorthin passt. Das Centre war für Paris etwas Neues und stand für Frankreich im Aufbruch – technologisch und konzeptionell.

In der Debatte über den Schlossplatz spürt man wenig Aufbruchsstimmung: Statt mit Pluralität, Vielfalt und Dezentralität wird mit ganz anderen Prämissen argumentiert: mit räumlicher Zentralität oder nationaler Identität.

Ich bin froh, dass der Bundestag beschlossen hat, das Parlament und das Kanzleramt im Spreebogen anzusiedeln. Das ist, einen Kilometer vom Potsdamer Platz, wo das Kapital residiert, ein Zeichen, das bedeutet: Hier baut die deutsche Demokratie. Außerdem ist durch die Verteilung der Ministerien in Altbauten kein geschlossener Regierungskomplex wie etwa in Washington entstanden. Legislative und Exekutive haben somit ihre Standorte – und in der Mitte wäre eine kulturelle Nutzung sehr wohltuend.

Wäre eine museale Nutzung mit einem Haus für europäische und außereuropäische Sammlungen, wie sie Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vorgeschlagen hat, öffentlich genug und ausreichend für den Standort?

Nur ein Museum wäre mir zu wenig, das käme einer Fortsetzung der Museumsinsel gleich. Ich möchte, dass dort Lebendigkeit und Fröhlichkeit herrschen und viele Menschen hingehen.

Nutzungsvorschläge gibt es mittlerweile zur Genüge. Wie will die Kommission hier zu einem Konsens kommen?

Die Kommission wird Vorschläge sammeln, Fachleute anhören, diskutieren und eine Empfehlung abgeben, die sich an den Bund und das Land Berlin richtet. Am Ende wird im Deutschen Bundestag und im Berliner Abgeordnetenhaus zu entscheiden sein. Wir haben die Aufgabe, die parlamentarischen Entscheidungen vorzubereiten.

Das gleiche Verfahren wurde schon einmal beim Holocaust-Denkmal durchgeführt, als die Bundesregierung mit dem Senat eine Reihe öffentlicher Kolloquien mit Politikern, Künstlern, Architekten und Philosophen abhielt. Das Ergebnis war, dass sich allmählich herauskristallisierte, wo das Projekt gebaut werden sollte, wie es aussehen könnte, und dass damit für den Wettbewerb auf einem höheren Niveau weiterdiskutiert wurde.

Ich hoffe, dass die Kommission eine solche Diskussion, die übrigens keine ureigene Angelegenheit Berlins ist, in Gang bringt.

Vor einiger Zeit fand in Berlin ein Architektentag statt, auf dem sich Eberhard Diepgen sehr freimütig für den Wiederaufbau des Stadtschlosses aussprach. Von den versammelten Architekten hat keiner widersprochen. Ist das nicht ein Zeichen von Ratlosigkeit?

Was die Architekten betrifft, so sehe ich verschiedene Tendenzen, darunter zwei, die ich für eher nostalgisch halte. Die eine ist der Versuch, die Schlossfassade zu rekonstruieren, die andere, den Palast der Republik wieder zu rekonstruieren. Beides sind rückwärts gerichtete Vorstellungen. Meine Vermutung, dass manche Politiker versuchen, mit solchen nostalgischen Symbolen der Angst der Menschen vor der Zukunft entgegenzuwirken, ist sicher nicht ganz unberechtigt. Wenn alles wankt und die Leute sich vor der Globalisierung fürchten, dann kann man immer noch sagen: Unser Schloss, unseren Palast, haben wir noch!

Darüber muss man diskutieren. Rekonstruktionen sind nicht von vornherein unanständig. Die hat es auch in Berlin immer wieder gegeben: Das Kronprinzenpalais ist eine Rekonstruktion. Nur: Wer eine Rekonstruktion will, sagt damit etwas Politisches aus über den Zustand des Landes.

Und nur die Behauptung, der Wiederaufbau der Schlossfassade wäre schön, so wie Antje Vollmer die Welt sieht, das ist ein bisschen zu dünn. So leicht kann man es sich nicht machen. Wir wissen, wie der Schönheitsbegriff sich gewandelt hat. Es geht um die Frage, welche Botschaft eine solche Rekonstruktion in sich trüge.

Die Architekten haben damals aber gar nichts gesagt. Also nochmals: Wissen Sie nicht, wie man dort auch mit zeitgenössischen Formen bauen kann? Ist das eine zu große Bauaufgabe?

Nein. Ich war damals nicht da, ich hätte gewiss etwas gesagt. Es gibt aber einige Berliner Architekten, die sagen: Das kann keiner von uns. Die müssen sich dann auch nicht daran beteiligen.

Sie haben aber auch beklagt, dass es im Moment keine Debatte über Baukultur gibt.

Es stimmt, dass in den letzten Jahren zu viel über das Ökonomische geredet wurde. Es ist dann zum Glück auch das Ökologische ins Spiel gekommen. Über Baukultur ist aber zu wenig gesprochen worden, und deshalb bin ich froh, dass die Bundesregierung diese Initiative angestoßen hat. Und wir versuchen, sie in den Ländern und Gemeinden fortzuführen. Beim Schlossplatz geht es um ein offenes Verfahren und nicht darum, von Anfang an zu erklären: Das muss so oder so sein.

Wenn es zum Beispiel denkbar wäre, dass wir für die Nutzung, die wir empfehlen, einen internationalen Architektenwettbewerb ausloben und Vorschläge sammeln, kann es auch sein, dass wir sagen: Alles, was da vorgeschlagen wird, ist schlecht, das bauen wir nicht. Bauen wir also die Rekonstruktion, weil die heutige Architektenschaft nicht in der Lage ist, dort etwas Gutes zu bauen. Aber zu behaupten, die Architekten von heute könnten es nicht, ohne es versucht zu haben, das fände ich zu kurz gedacht.

Deshalb meine ich, dass der Versuch erst mal gewagt werden muss. Dann kann man über die Schlossfassade reden. Wahrscheinlich wird es auch Lösungen geben, die eher collagenähnlich sind, die die Reste des Palastes der Republik und Schlossteile mit neuen Bauten verbinden.

Der Vorsitzende der Expertenkommission, Hannes Swoboda, hat sich bereits gegen eine solche Collagenlösung ausgesprochen.

Herr Swoboda hat sich, wie ich finde, als Vorsitzender sehr früh geäußert. Ich bin nicht bereit, mir von Anfang an eine Einschränkung von Ideen vorschreiben zu lassen. Weder von der Bundesregierung noch vom Berliner Bürgermeister, noch vom Vorsitzenden der Kommission.

Wie ergebnisoffen ist die Arbeit der Kommission, und welche Relevanz wird das Ergebnis haben? Herr Diepgen hat schon gesagt, man müsse sich nicht unbedingt an das halten, was die Kommission vorschlägt. Wirft das nicht einen Schatten auf Ihre Arbeit?

Ich glaube nicht, dass Herr Diepgens Schatten die Kommission beeinträchtigen kann. Außerdem wird er ja nicht allein entscheiden. Die Entscheidung wird überwiegend beim Bund liegen, weil Berlin das schon gar nicht finanzieren kann.

Private Bauherren sind ja nicht so altruistisch, dass sie der Demokratie unbedingt ein kostenloses Denkmal setzen. Wie wollen Sie denn ein öffentliches Gebäude am Schlossplatz finanzieren?

Eine öffentliche Nutzung muss öffentlich finanziert werden. Wenn das reichste Land Europas kein Geld hätte, eine solche Aufgabe zu bewältigen . . .

. . . dann wäre das auch eine Aussage.

Das wäre auch eine Aussage. Aber die Vorstellung, das geschähe in Paris oder London, ist undenkbar.

Mit den Grundstücken, die der Bund bislang zur Finanzierung einbringen will, ist es aber nicht getan.

Natürlich nicht.

Woher nehmen Sie den Optimismus, Herrn Eichel davon überzeugen zu können, die nötigen Millionen oder Milliarden lockerzumachen?

Die Kommission wird Empfehlungen machen, und die bekommt der Deutsche Bundestag. Und der hat ja bei solchen Fragen in der Vergangenheit so furchtbar schlecht nicht entschieden. Denken Sie an den Neubau des Plenarsaals in Bonn oder die Verhüllung des Reichstags oder das Holocaust-Denkmal. Ich vertraue darauf, dass sich das Parlament ernsthaft mit dieser Frage auseinandersetzt. Und wenn der Bundestag für eine öffentliche Nutzung ist, wird auch das Geld dafür da sein.

Wie lange werden Sie arbeiten? Wann sollen die Ergebnisse auf den Tisch?

Es ist nicht so, dass bei mir nachts besorgte Berliner anrufen und sagen: Wir halten es nicht mehr aus, der Schlossplatz ist noch nicht bebaut. Mir ist relativ gleichgültig, wie lange das dauert. Wir haben ein Jahr Zeit, den Bericht abzugeben, und wenn man dann einen Wettbewerb macht, dauert das sicher noch mal ein Jahr. Ich finde, man sollte das nicht in den Bundestagswahlkampf tragen. Der wird ja möglicherweise über Ausländerthemen, Leitkultur oder Zuwanderung geführt. Da hätte ich das Thema nicht gerne, weil ich weiß, dass die Politiker in Wahljahren nur begrenzt zurechnungsfähig sind.

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