: Hitparade der Leitkulturen
Jürgen Meier-Beer (NDR) organisiert die deutsche Vorentscheidung für den europäischen Schlagerwettkrampf. Die ZDF-Hitparade hält er für eine „Bühne für die deutsche Leitkultur“
INTERVIEW: JAN FEDDERSEN
Jürgen Meier-Beer, 50, ist seit 1996 beim NDR für die ARD verantwortlich in der Inszenierung und Organisation der deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix Eurovision. Die letzte Folge der ZDF-Hitparade – der Sender hält sie für quotensiech und beschloss kürzlich deren Abschaffung – läuft im ZDF am 16. Dezember, die vorletzte Sendung am kommenden Sonnabend.
taz: Wie bewerten Sie die Einstellung der ZDF-Hitparade?
Jürgen Meier-Beer: Sie wurde ja nicht eingestellt, sondern abgewürgt. Ein solches Ende hat diese traditionsreiche Sendung, die es ja seit 1969 gibt, nicht verdient.
War dieses zum Jahresende beschlossene Ende nicht zwangsläufig? Manche sagen, dass die ZDF-Hitparade seit Dieter Thomas Hecks Demission Mitte der Achtzigerjahre eine schlecht gepflegte TV-Leiche war.
Dieter Thomas Heck hätte die Leiche auch nicht wiederbeleben können. Nicht Uwe Hübner war schuld am Tod der Sendung, sondern das Programmkonzept war am Ende.
Hätte man die ZDF-Hitparade retten können?
Man hat es ja nicht einmal versucht. Zumindest für den Versuch hätte der frühere Moderator Viktor Worms, nachdem er zum ZDF-Unterhaltungschef aufgestiegen ist, prädestiniert sein müssen. Aber vielleicht hatte Uwe Hübner gerade unter seinem Vorgänger, der ja der erste Nachfolger von Dieter Thomas Heck war, keine Chance.
Wie hätte denn ein neues Konzept für die ZDF-Hitparade aussehen können?
Neue Konzepte werden immer mit hohem Aufwand entwickelt. Das sind keine Geistesblitze, die dann kostenlos in Interviews verkündet werden. Aber über die Zielsetzung muss man öffentlich reden: Da neue deutsche Musikproduktionen im Formatierungsdruck der Sender immer weniger Chancen haben, hätte das Ziel einer Neuentwicklung lauten müssen: Wir bauen der deutschen Musikszene eine erfolgsträchtigere Bühne! Die deutsche Musikszene ist längst mehr als der deutsche Schlager!
Und wie baut man eine solche Bühne?
Musik kann man auch in der heutigen Fernsehkonkurrenz interessant präsentieren, wenn es gelingt, sie in betörende Erlebniswelten zu integrieren. Als Fernsehmacher hat man zur Kenntnis zu nehmen, dass die Fernsehzuschauer mittlerweile zu intelligent sind, um sich für bloße statistische Rangfolgen zu interessieren. Daher reichen Hitparaden als solche nicht mehr aus, um Interesse zu erwecken.
Man muss also die Tradition über Bord werfen? Sie sind es doch, der beim Grand Prix Eurovision eine Tradition wiederbelebt hat!
Erst wenn man zu den Traditionen eine intelligente Distanz entwickelt hat, kann man lustvoll neu mit ihnen spielen. Vergessen wir nicht: Die ZDF-Hitparade ist in einer Zeit musikalischer Überfremdung als frühe Bühne für die deutsche Leitkultur eingeführt worden! Bloß keine Einflüsse, die nicht aus deutschen Landen stammen! Was meinen Sie, wie interessant es hätte werden können, hätte sich die ZDF-Hitparade damit auseinander gesetzt!
In diesen Zusammenhang stellen Sie das Ende der ZDF-Hitparade?
Das ist doch logisch! Das Schicksal der ZDF-Hitparade ist das Schicksal der deutschen Leitkultur. Vielleicht sollte man die ZDF-Entscheidung unter diesem Aspekt doch positiver sehen, als ich es zunächst getan habe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen