Der den Volkszorn formuliert

aus Frankfurt HEIDE PLATEN

Nicht groß, nicht auffällig, ein dunkler Typ. Böse Zungen sagen, jahrelang habe er sich die roten Haare und den Schnauzbart schwarz gefärbt. Hans-Jürgen Irmer (48) ist ein Hinterbänkler, dreimal nachgerückt, ehe er 1990 auf sicherem CDU-Listenplatz den Wahlkreis Limburg II gewann. Zwischen den Gastspielen auf politischer Bühne musste der Oberstudienrat aus Wetzlar jahrelang immer wieder zurück in den Schuldienst. Da kann Langeweile aufkommen. Hans-Jürgen Irmer aber ist ein aktiver Mensch, der sich gerne profiliert und gerne Einfluss nimmt. Seinen Kreisverband führt Irmer mit autoritärem Stil. Widerspruch duldet er nicht, Gegner greift er frontal in Steckbriefmanier an.

Dafür hat er nun seit mehr als zehn Jahren seine eigene Zeitung, den Wetzlar-Kurier, ein kostenloses Anzeigenblatt, dessen Herausgabe ihn 1987/88 zum Pressesprecher des damaligen CDU-Kultus- und derzeitigen Justizministers Christean Wagner qualifizierte.

Mit der Qualifikation ist das so eine Sache. 1995 zeigt der Landesverband Hessen der Deutschen Sinti und Roma Irmer wegen Volksverhetzung und Beleidigung an, nachdem dieser wieder einmal einen jener zahlreichen namentlich nicht gezeichneten Hetzbeiträge veröffentlicht hat, auf die die Gratispostille spezialisiert ist. In dem Beitrag wird vorgerechnet, dass die Deutschen ihr gutes Geld nicht nur für Asylanten im Allgemeinen berappen müssen, sondern auch noch für „Zigeuner, wobei man dies ja fast nicht mehr sagen darf, die auch 50 Jahre nach Kriegsende noch immer vom Steuerzahler weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit alimentiert werden“.

Das Verfahren wird ein halbes Jahr später von der Frankfurter Staatsanwaltschaft eingestellt, weil zwar eine „negative Grundeinstellung und erhebliche Ressentiments“ des Beschuldigten zu erkennen seien, der Beitrag aber dennoch den Rahmen der in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Meinungsfreiheit nicht überschreite, der auch „abwegige oder scharfe und spitze Meinungsäußerungen“ umfasse.

Irmer steckt die Kritik gelassen weg. Und hält die Fahne der Meinungsfreiheit hoch. Die Strafanzeige, sagt er der Frankfurter Rundschau damals, sei „ein Versuch, diejenigen, die bestimmte historische Abläufe kritisch betrachten, mundtot zu machen“. Und historische Abläufe sind dem Englisch-, Erdkunde- und Politiklehrer nun einmal ein wichtiges Anliegen. Deswegen ist Irmer im hessischen Landtag schulpolitischer Sprecher der Fraktion und war bereits zur Zeit des Ermittlungsverfahrens gegen ihn Landesvorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft christlich-demokratischer Lehrer“.

Hans-Jürgen Irmer sieht sich selbst als mutigen Mann, der die „Dinge beim Namen nennt“, „im besten Sinne konservativ“. Und als einen, der differenziert. Zum Beispiel, dass der Zweite Weltkrieg zwar „schlimm“ gewesen sei, nicht aber die deutsche Nachkriegsgeschichte dominieren dürfe: „Es muss Schluss sein, nur im Büßergewand und als Zahlmeister aufzutreten.“

Dann lieber als Zuchtmeister. Aufenthaltserlaubnis für schwule Ausländer in Hessen? Da sei der Historiker Irmer davor, der gegen solcherlei SPD-Erlasse den Untergang des Römischen Reiches beschwört, „das weniger an den äußeren Feinden zu Grunde gegangen ist, als vielmehr an dem inneren Zerfall von Moral, Sitte und Anstand. Mit Dekadenz könnte man dies auch umschreiben.“

Wer kann da anderer Meinung sein? Zum Beispiel der Ausländerbeirat der Stadt Wetzlar, der in seinen Sitzungen schon eine Arbeitsgruppe und Demonstrationen gegen die ausländerfeindliche Berichterstattung des Blattes erörtert. Das, befindet Irmer, sei völlig abwegig. Überschriften wie „Eine multikulturelle Gesellschaft und der Islam sind eine Bedrohung für die freiheitlich demokratische Grundordnung in Deutschland“ seien doch mitnichten ausländerfeindlich, sondern mit Fakten belegt: „Die Faschismuskeule ist von der vereinigten Linken lange genug geschwungen worden. Es ist an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen.“

Manchmal aber wehren sich die „Dinge“, kritische Pfarrer oder Lehrer und Schüler zum Beispiel. „Viel Feind, viel Ehr' “ leitartikelt es im Juli 1998 in seinem Blatt gegen eine örtliche Initiative, die Unterschriften zum Anzeigenboykott gesammelt hat. Der gute Katholik Irmer sieht sich verfolgt. Man wolle das Blatt „wirtschaftlich und damit politisch mundtot“ machen. Und überhaupt, die 200 Unterschriften stammten doch vorwiegend von Ortsfremden, „etwa 100 Türken“, DKP-nahen Individuen, SPDlern und Grünen, „Volksfront“ eben: „Im Dritten Reich hieß es: ,Kauft nicht bei den Juden!‘ Und heute heißt es, zumindest für einige: ,Inseriert nicht im Wetzlar-Kurier, sonst . . .‘.“ Sonst was? Das Blatt stilisiert sich zur Hüterin der politischen Mitte, der an nichts mehr gelegen sei als daran, sich der Themen anzunehmen, „die die Menschen in besonderer Weise berühren“.

Das tut Irmer Anfang 1999 dann auch bei einer Unterschriftenaktion, die mehr nach seinem Geschmack war. Im Landtagswahlkampf orgelt er für die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft des CDU-Spitzenkandidaten Roland Koch. Die Leser von Asslar bis Waldsolms können nun lesen, dass Menschen ebenso wenig gleichzeitig „Deutscher oder Türke“ sein können wie – nur beispielsweise – Christdemokrat und Mitglied der SPD, oder gar katholisch und evangelisch zugleich. Irmers antagonistische Gleichsetzung von Weltanschauung und Herkunft zieht ihre demagogischen Schlieren, suggeriert Ehrlichkeit, attestiert sich selbst den Mut zum von feindlichen Mächten bedrohten Tabubrechen und gipfelt furios: „Es ist allerdings an der Zeit, dass man die Fesseln der Vergangenheit abwirft . . .“ Aber bitte differenziert: „. . . ohne die Vergangenheit verdrängen oder beschönigen zu wollen.“

Grund genug für den damaligen CDU-Bundesvorsitzenden Wolfgang Schäuble und für Ministerpräsident Roland Koch, Irmer in der 150. Wetzlar-Kurier-Ausgabe nach gewonnener Landtagswahl mit herzlichen Grußadressen zum Jubiläum zu bedenken. Da kommt wieder zusammen, was zusammengehört. Die drei hatten 1999 im Wahlkreis gemeinsam die CDU-Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eröffnet. Schäuble lobt nun die „bürgernahe Information“, die „politische Zusammenhänge einsichtig“ mache. Das Blatt habe sich, schreibt Koch, „vom Meinungsträger zum Meinungsbildner“ entwickelt, um dessen Zukunft ihm „nicht bange“ sei: „Die Macher können mit Recht stolz sein auf das Erreichte. Tatkraft und Engagement Einzelner führen zu ganz neuen Ergebnissen.“

Wohl wahr. Eines davon sorgt im Dezember 1999 für eine unerfreuliche Landtagsdebatte, nachdem der Wetzlar-Kurier wieder einmal ein aktuelles Problem von zwei Seiten betrachtet hatte. Entschädigung für Zwangsarbeiter müsse, „wenn schon, dann bitte beiderseitig“ gezahlt werden, denn sonst entstehe der Eindruck, „dass hier ein neuerlicher Versuch gemacht wird, Deutschland auf die Anklagebank zu setzen, um weitere Zahlungen zu erzielen“. Die Opposition tobt, Ministerpräsident Koch hält sich bedeckt, die FDP erklärt den Artikel zur „Belanglosigkeit“.

Petitesse auch, dass Irmer gegen die Ganztagsschule mit dem Satz „Wir wollen keinen Kibbuz“ zu Felde zieht, gegen Antidiskrimierungsgesetze vor dem „Volkszorn“ warnt, das Ende der „Humanitätsduselei“ gegenüber Asylbewerbern, „die diesen Staat ausbeuten“, fordert: „Wer nicht pariert, der gehört gegebenenfalls gefesselt und geknebelt, bis der Zielort erreicht ist.“ Subtiler war Irmers Abkanzelung des damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, der sich unterstanden hatte, zum einen Helmut Kohl zu kritisieren, zum anderen für die doppelte Staatsbürgerschaft einzutreten. Der solle sich, bescheidet Irmer, doch erst einmal informieren, „wie in Israel! die Frage der Staatsbürgerschaft gelöst wird“. Das geschmäcklerische Ausrufungszeichen hat wegweisenden Charakter, denn Irmer blickt im Fortlauf dieses Klartextes auch über andere Grenzen: „Fakt ist, dass sich die Zahl der türkischen Bürger in Deutschland, von denen es zweifellos eine Vielzahl sehr anständiger Menschen hier gibt, von etwa 300.000 in den 60er-Jahren auf rund 3 Millionen heute verzehnfacht hat.“ Da darf das Blatt schon mal fragen: „Heißt der Bundeskanzler 2040 Ömer?“ Und eine ungenannte rheinische Lehrerin schickt zur Beweisführung gleich die Namensliste ihrer 27 Schüler, die islamische Kinder sorgsam mit einem Halbmond markiert.

Irmer versteht sich auf die bunte Mischung. Er ruft zu Spenden für ein krankes Kind auf, bietet Lehrstellenvermittlung an. Von fast jeder Seite prangen die Fotos amtierender CDU-Landespolitiker mit Berichten über ihr segensreiches Wirken. Der Mix aus Zahlen, Daten, Fakten, Politpropaganda, Menschelei und zusammengerührtem Ressentiment lohnt sich.

Die Finanzierung ist mit 40 Prozent Anzeigen nicht nur aus der Region gesichert. Neben regionalen Bestattungsinstituten, Baufirmen, Handwerkern, Reisebüros, werben örtliche Einzelhändler mit internationalen Produkten. Es inserieren Bierbrauer Henninger, die örtliche Volkshochschule, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, der Rhein-Main-Verkehrsverbund, das Duale System und die Deutsche Bahn.

Das Einstecken ist nicht so sehr Sache des Landtagsabgeordneten Irmer wie das Austeilen. Im September droht er eine Klage gegen die SPD Hessen-Süd an, weil deren Vorstand ihn in einer Presseerklärung einen „ideologischen Vater des Extremismus“ genannt hat, der mit seiner Zeitung Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus schüre. Das sei mit seinem Landtagsmandat und mit dem Amt als bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion nicht vereinbar. Der Wetzlar-Kurier, mault Irmer, sei seine „Privatsache“ und formal „sauber von der CDU“ getrennt.

Wenige Tage später provoziert Hans-Jürgen Irmer in einer Plenardebatte einen bisher einmaligen Eklat. Der Zeitungsmann fotografiert Abgeordnete der Opposition. „Fahndungsfotos“, schäumen die Abgelichteten bei SPD und Grünen, „Privatsache“ sagt Irmer wiederum. Das Landtagspräsidium sieht das nicht so. Es zieht den Film ein.

Zitate:IRMER ÜBER DEUTSCHE GESCHICHTE:„Es muss Schluss sein, nur im Büßergewand und als Zahlmeister aufzutreten.“ROLAND KOCH ÜBER IRMERS BLATT:„Die Macher können mit Recht stolz sein auf das Erreichte. Auf Tatkraft und Engagement.“