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Touch to Matsch

Schlick als Medizin: Damit will St. Peter-Ording Kurgäste anlocken. Das lässt man sich vier Millionen Mark kosten  ■ Von Heike Wells

Er sieht aus wie Matsch, fühlt sich glitschig an und riecht ein wenig muffig. Aber Schlick ist reine Medizin. Der „Matsch“ von der Nordsee ist eines der vier Pfunde, mit denen Schleswig-Holstein im Gesundheitsbereich wuchern kann: Mit Schlick und Sole, Moor und Meerwasser empfiehlt sich das Land an über 20 Standorten an den Küsten und im Binnenland als Adresse für Heilmittel aus der Natur.

„Ortsgebundene Heilmittel“ lautet die sperrige Bezeichnung für das, was Rheumakranken, Asthmatikern und Menschen mit Hautproblemen oder Allergien so gut tut. Für die Kranken ist es dabei zweitrangig, dass Moor und Schlick als Medizinprodukte, Meerwasser und Sole als Arzneimittel gelten. Aber an die Kurbetriebe stellen diese Bestimmungen hohe Anforderungen. Denn nirgendwo sonst wird die Qualität der Heilmittel strenger kontrolliert als in Schleswig-Hols-tein, sagt die Apothekerin Eva-Maria Brunschweiger aus Kiel. Mit ihrem Unternehmen „Consulting Herstellung und Prüfung von Arzneimittel“ begleitet und berät sie die Betriebe, in denen diese Erzeugnisse verwendet werden.

Beispiel St.Peter-Ording: Das Nordseeheilbad auf der Halbinsel Eiderstedt verfügt mit seiner 1958 entdeckten Schwefelquelle, mit Meerwasser und Schlick über die größte Vielfalt an therapeutischen Produkten aus der Natur. Insgesamt 150 000 Anwendungen weist die Jahresstatistik im Schnitt aus. In der Hochsaison beschäftigt die Kurbetrieb 45 Fachtherapeuten, den Umsatz beziffert Kurdirektor Bernd Paulsen auf 2,6 Millionen Mark im Jahr.

Renner ist dabei der Schlick. Er wird auf den Körper aufgetragen, der Patient erst in Folie, dann in Decken verpackt und dann in eine Spezialwanne mit konstant temperiertem Wasser getaucht. „Darin schlafen sie wie in einem Himmelbett“, schwärmt Bernd Paulsen. Der Nordsee-Schlick wird aus einem Feld hinter dem Deich gewonnen. „Das ist fossiles Material, Millionen von Jahren abgelagert und von allerbester Qualität“, freut sich der Kurdirektor. Die musste sich der Kurbetrieb allerdings erst durch geologische und mikrobiologische Gutachten bescheinigen und überwachen lassen.

Das Kunststück ist dabei , dass die Mittel einerseits 100 Prozent naturbelassen sein, andererseits hohen Anforderungen an Hygiene und gleich bleibende Qualität genügen müssten. „Das ist ein Balanceakt.“ Und der kostet: Allein vier Millionen Mark hat sich St.Peter seine Schlickanlage kosten lassen, berichtet Bernd Paulsen.

Überwacht wird das Ganze vom der Arzneimittelstelle des Landes. Und Schleswig-Holstein habe sogar als erstes Bundesland für sein Kurmittelangebot verbindliche Standards entwickelt, sagt Eva-Maria Brunschweiger. Damit das Niveau erhalten bleibt, bietet ihr Unternehmen regelmäßige Fortbildungen für die Branche an. Bei zwei Kongressen in diesem Monat soll nun über den Tellerrand geschaut werden: Unter dem Motto „Innovation und Marketing“ geht es um Schlick in den Hochzeiten von Wellness.

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